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Alleinvertretungsanspruch und Etatismus

Warum die SPD Administrative Bestrafung anwendet

Aktuell betreibt die SPD beziehungsweise die der SPD nahestehenden Twitterer und Blogger eine Web 2.0 Bashing-Kampagne gegen die Piraten. Während die mangelnde Kritikfähigkeit der Piratenanhänger kritisiert und deren rauer Umgangston gerügt wird, werden umgekehrt die Piraten als "soziale Würmer" bezeichnet. Eine gewiss humorvolle Beleidigung, aber nichts desto weniger eine Beleidigung der Mitglieder und Sympathisanten der Piratenpartei. Für diese SPD-nahe Bashing Kampagne gibt es eigene Twitter-Accounts und das Konzert wird begleitet von entsprechenden Blogbeiträgen.

Nun ist es nicht so, dass die Piraten nicht selbst einen Anlass für Kritik gegeben hätten, möge sie in der Sache gerne auch härter sein, aber die Wurzeln dieser Aversion gegen Piraten reichen tiefer.

Zunächst mal befinden wir uns natürlich im Endspurt auf die Bundestagswahl. Aktuellen Prognosen zufolge liegt Schwarz-Gelb mit 48,75 % vor Rot-Rot-Grün mit 47 % (gemittelt über die letzte aktuellen Wahlumfragen bei wahlrecht.de). Das ist noch immer sehr knapp, aber es würde der SPD eben noch nicht reichen, um sich erneut in eine große Koalition zu retten. Mit anderen Worten: die SPD hat schlichtweg Angst, die Wahl zu verlieren und ist einigermaßen verzweifelt auf der Suche nach möglichen Wechselwählern, die noch umzustimmen wären.

Aber auch das würde die aktuellen Kampagnen nicht ausreichend erklären, scheint es doch wenig Sinn zu machen die Piratenpartei, denen Wahlforscher aktuell ein Potential um 2% bescheinigen, mit einer Kritikasterkampagne auch noch in den Focus der Aufmerksamkeit zu rücken. Die eigentliche Kritik der Sozialdemokraten an der Piratenpartei ist denn auch eine, die sich nur verdeckt äußert. So schreibt zum Beispiel ein Kommentator bei netzpolitik.org:

"Es gibt sicher vernünftige Piraten in der Piratenpartei. Mit denen würde ich gerne innerhalb der SPD koalieren."
Und etwas weniger gewunden kann man beim "Vorwärts" lesen:

"Ich treibe lieber in der SPD die "Piraten-Themen" Internetfreiheit, Urheberrecht und Medienkompetenz voran, da ist wenigstens eine Chance da, dass man damit etwas gesellschaftlich erreichen kann."
Halten wir fest: den SPD-nahen Kritikern der Piratenpartei geht es nicht um eine inhaltliche Differenz zu den Programmpunkten der Piratenpartei, sondern darum, dass doch bitte schön der richtige Ansatz die Themen zu treiben entweder eine Bürgerrechtsbewegung als NGO oder aber - wenn man sich denn parteipolitisch engagieren möchte - eine Beteiligung innerhalb der SPD sei.

Und hier kommen wir an die eigentliche Wurzel der Aversion gegen die Piraten.

Die SPD vertritt als Volkspartei noch immer den von Hybris geprägten Anspruch, dass doch bitte jeder, der sich für eine emanzipatorische Politik und eine solidarische Gesellschaft einsetzt, dies in der SPD zu tun habe. Gegen den Anspruch, dass das linke Parteienfeld möglichst einig und geschlossen von einer Partei vertreten werden solle, hatte die SPD nie etwas einzuwenden, sofern nur klar war, dass diese Partei die SPD selbst ist. Neben dem Unverständnis für die Inhalte der GRÜNEN, hat die SPD ja in den Anfangsjahren insbesondere deshalb einen arroganten Politikstil gegenüber den GRÜNEN gepflegt, weil sie sich selbst als Partei in ihrem selbstverständlichen Alleinvertretungsanspruch durch die GRÜNEN verraten fühlte. Nicht anders heute bei den Piraten.

Daneben gibt es für die SPD Politik natürlich nur im Zusammenhang mit den staatlichen Institutionen. Politik ist alles, was in Parlamenten und in der Regierung stattfindet. Als Partei war und ist die SPD derart etatistisch, dass gegen den Nationalsozialismus eine persönlich mutige Rede von Otto Wels, die inhaltlich von politischer Naivität geprägt war, und die Ablehnung des Ermächtigungsgesetzes im Reichstag exakt das war, was die SPD maximal unter "politischem Widerstand" verstehen konnte. Was nicht innerhalb des Parlaments oder der Regierung stattfindet, ist für die SPD in ihrer Mentalität allenfalls eine Vorfeldorganisation in der Gesellschaft, die die politische Rückendeckung für die jeweilige SPD-Fraktion zu organisieren hat. Deshalb ist es für die SPD Verschwendung eine Partei zu gründen, von der es zunächst einmal nicht wahrscheinlich ist, dass sie ins Parlament einziehen wird.

Die Piratenpartei ist also für die SPD eine Vergeudung von den Wählerstimmen, die - aus Sicht des Selbstverständnisses der SPD - doch eigentlich rechtens ihr gehören sollten. Und so reagiert die SPD eben, wie sie immer reagiert hat. Frei nach dem Motto: "Schade, daß Sie nicht in der Partei sind - sonst könnte man Sie jetzt ausschließen!". Und was seinerzeit Holger Börners Dachlatten gegen die GRÜNEN waren, sind nun eben Tweets von Sixtus und Sascha. Administrative Bestrafung.
  • btw09 - 19. Sep, 18:15

    Update

    In der Netzzeitung findet sich eine Stellungnahme zur Piratenpartei, die in destillierter Form - wenn gleich historisch nicht ganz korrekt - die wesentliche Kritik der SPD an den Piraten ganz im Sinne des Blogbeitrags zusammenfasst:

    "Trotz seiner Sympathie für die Partei sieht Benjamin Birkenhake die Situation etwas kritischer, denn für ihn sind die Piraten 'unter den Parteien das, was der Opera unter den Browsern ist. Eigentlich würde ich am liebsten nur mit dem Opera surfen. Aber man darf den Widerstand ja nicht spalten. Das hab ich im Geschichtsunterricht gelernt. SPD, KPD und Spartakusbund und so: Wenn die nicht ständig damit beschäftigt gewesen wären sich untereinander zu bekaspern, dann hätten sie den Nazis vielleicht ernsthafter Paroli bieten können.' "

    Bedeutet also, wer zum Beispiel gegen Netzzensur ist, solle seinen Widerstand parteipolitisch in der SPD organisieren...

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