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Dienstag, 21. Juli 2009

Grenzenloses nationales Recht

Was passiert, wenn "Löschen statt Sperren" keine Lösung ist?

Dass eine auf die Spitze getriebene juristische Regelungsdichte und Rechtsdurchsetzung im Ergebnis materielle Gerechtigkeit nicht nur nicht fördert, sondern sogar bedrohen und äußerstenfalls zuwider laufen kann, gehört zum Traditionsbestand der Selbstreflektion der Gesellschaft. Unter dem lateinischen Sprichwort "Summum ius summa iniuria" ist die Problematik seit der Antike bekannt.

In Shakespeares "Der Kaufmann von Venedig" besteht allein aus Rachegelüsten der Kaufmann Shylock auf seinen Anspruch gegen den Schuldner Antonio. Der Richter entgegnet ihm:

"Denn, weil Du dringst auf Recht, so sei gewiß,
Recht soll dir werden, mehr als du begehrst."

Darauf wendet der Richter letztendlich eine rabulistische Interpretation der Vereinbarung zwischen dem Kaufmann und seinem Schuldner an, die aber im Ergebnis der materiellen Gerechtigkeit dient.

Das Rechtssystem kennt nun vielerlei Rechtsinsitute, um den Zielkonflikt zwischen unbedingter Rechtsdurchsetzung einerseits und materieller Gerechtigkeit andererseits in den Grenzen des Rechts selbst abzuarbeiten. Ein Beispiel hierfür mögen Verjährungsfristen sein. Der Gläubiger hat seinen Anspruch lange Zeit nicht verfolgt, also kann der Schuldner sich nach Ablauf der Verjährungsfristen im Interesse des Rechtsfriedens auf Verjährung berufen.

Ein anderes, ebenso intuitiv verständliches Prinzip ist das Territorialitätsprinzip. § 3 StGB bestimmt schlicht:

"Das deutsche Strafrecht gilt für Taten, die im Inland begangen werden."
Wer zum Beispiel als Deutscher in den USA eine englischsprachige Webseite betreibt und dort den Holocaust leugnet, macht sich - auch als Deutscher - nicht nach dem hiesigen Strafrecht (§ 130 StGB) strafbar. Man kann es auch deutlicher formulieren: das Leugnen des Holocaust im Ausland und für ausländische Nutzer ist nach deutschem Recht legal - schlicht deshalb, weil deutsches Recht auf diese Sachverhalte nicht anwendbar ist.

Das hat nun seinen guten Sinn - denn schließlich möchte man sich als Betreiber einer inländischen Webseite auch nicht unbedingt nach iranischem, afghanischem oder chinesischem Strafrecht strafbar machen - auch wenn selbstverständlich die Inhalte (vorbehaltlich entsprechender Zensureingriffe) in diesen Ländern abgerufen werden können.

In diesen Konstellationen kommt es zu der Situation, dass die Devise der Sperrgegner "Löschen statt Sperren" nicht funktionieren kann. Die Inhalte sind im Ausland ja nicht strafbar und können ohne freiwillige Mitwirkung der Host-Provider nicht gelöscht werden.

Wir reden hier wohlgemerkt nicht von kinderpornographischen Inhalten im Web. Diese sind - soweit ersichtlich - global geächtet. Und natürlich wußte auch Frau von der Leyen bisher kein Land zu nennen, in dem Kinderpornographie tatsächlich nicht strafbar ist. Mit Rücksicht auf mögliche weitere diplomatische Verwicklungen ist zu hoffen, dass sie vom Länderraten im Sinne einer Quizshow zukünftig Abstand nimmt.

Was also passiert in den Fällen, in denen die Inhalte im Ausland nicht strafbar sind?

An dieser Stelle ein kleiner Einschub: es ist in Deutschland ebenfalls nicht strafbar, volksverhetzende Internet-Seiten, in denen etwa der Holocaust geleugnet wird, aufzurufen. Der Nutzer in Deutschland macht sich also im Normalfall ebenfalls nicht strafbar.

Wer hier in dieser Situation die Ausweitung der beschlossenen Netzsperren auf andere Sachverhalte, wie etwa sogenannte Hass-Seiten fordert, der muss sich über Folgendes im Klaren sein:

Die Vorteile eines globalen Kommunikationsnetzes müssten aufgegeben werden zugunsten eines renationalisierten "Deutschnetz".

Und außerdem: das nationale Rechtssystem wird überdehnt in der Anwendung auf Auslandssachverhalte, die in begründeter Selbstbeschränkung der Beurteilung des nationalen Rechts entzogen sind.

Wenn also "Löschen statt Sperren" nicht funktioniert, wäre es aus vielerlei Gründen - und dazu gehören eben auch rechtliche Gründe - vernünftig, dies hinzunehmen. Die Frage wird nur sein, ob der Politik eine solch weise Selbstbeschränkung zuzutrauen ist.

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