Begriff der Zensur
In der Diskussion um Internetsperren geht es auch und immer wieder um den Begriff der "Zensur". So zum Beispiel
Frau von der Leyen im
Interview mit der Zeit:
"Aber dass Bilder von vergewaltigten Kindern nicht frei zugänglich sind, das ist keine Zensur."
Und auch
Wiefelspütz findet die Verwendung des Begriffes Zensur für die Sperrung von kinderpornographischen Webseiten irgendwie Gaga, Gogo bzw. Tralafitti oder so:
Zu behaupten, es handele sich beim Sperren strafbarer Inhalte um Zensur, sei „unterirdisch dumm“, sagte Wiefelspütz.
Und auch Frau Dr. Krogmann
äußert sich entsprechend:
"Entsprechend ist die Sperrung einer derartigen Seite als die Verhinderung einer Straftat zu qualifizieren. UND EBEN NATÜRLICH NICHT ALS ZENSUR!!!!"
Was steckt hinter dieser Auseinandersetzung um den Begriff der Zensur.
1. Die Befürworter von Netzsperren erkennen natürlich die negative Bewertung eines Zensurvorwurfs und möchten den Begriff der Zensur deshalb selbst inhaltlich einschränken. Zensur soll wohl nur die politisch (willkürliche) Einschränkung von unerwünschten Meinungen sein (siehe Definition der
Bundeszentrale für Politische Bildung).
Diese einschränkende Definition von Zensur ist unzureichend, weil sie einerseits Tatsachen nicht berücksichtigt. Und sie hilft auch dort nicht weiter, wo eben nicht politisch willkürlich zensiert wird, sondern auf Grund von Straftatbeständen. Wie würden wir denn eine Sperrung von volksverhetzenden, rechtsextremen Internetseiten nennen - etwa keine Zensur, da strafbar?
2. Im Übrigen versuchen die Sperrbefürworter indem sie den Zensurvorwurf ablehnen und schlicht auf die Strafbarkeit von kinderpornographischen Inhalten verweisen, die Begründungs- und Rechtfertigungslasten zu verschieben. Versteht man "Zensur" als staatliche Kontrolle der Verbreitung von Inhalten, würde sich die Frage nach deren Rechtfertigung zwangsläufig stellen. Wer argumentiert, es handele sich nicht um Zensur, da es um strafbare Inhalte gehe, versucht die Argumentations- und Begründungslast den Gegnern in die Schuhe zu schieben. In etwa so, wie wenn man behaupten würde, eine Haftstrafe sei keine Freiheitsbeschränkung, weil sich der Täter strafbar gemacht habe. Es stellt sich dann gar nicht erst die Frage, ob eine Maßnahme geignet, erforderlich und angemessen ist.
3. Allerdings steckt in der Diskussion um den Begriff der Zensur ein Sachkern, über den man sich bewußt sein sollte. Art. 5 Abs. 1 GG, also das einschränkungslose Zensurverbot, gilt nur für die sogenannte "Vorzensur". Gemeint ist damit nur die vorherige Überprüfung und Genehmigung von Veröffentlichungen durch eine "Zensurbehörde". Das verbietet das Grundgesetz ausnahmslos. Die "Nachzensur" also das repressive Vorgehen gegen bereits veröffentlichte Inhalte ist (in den Schranken des Grundgesetzes) möglich.
4. Warum argumentieren nun die Sperrbefürworter nicht mit der Differenzierung von Vor- und Nachzensur. Nun hier kann man nur spekulieren. Wahrscheinlich ist in der emotionalen Debatte, die medial von Frau von der Leyen betrieben wird, kein Platz für differenzierte Argumentation. Außerdem würde eine Differenzierung nach Vor- und Nachzensur nicht wirklich helfen. Der fehlende Mechanismus einer Kontrolle der Webseiten nachdem sie erstmal auf die Sperrliste gelangt sind (was passiert bei Wechsel des Domaininhabers und der Inhalte) und die Problematik des sogenannten Over-Blockings wirken sich eben faktisch auch als Vorzensur aus.
5. Wie also sollte unsere Argumentation sein:
- Zensur ist schlicht das Verfahren einer staatlichen Kontrolle der Verbreitung von Inhalten - unabhängig davon, welche Inhalte konkret betroffen sind!
- Die Netzsperren sind als Zensurmaßnahme ungeignet, letztlich nicht erforderlich und auch unangemessen.
Und falls wir gefragt werden, ob man "Löschen statt Sperren" nicht auch als Zensur verstehen kann, wäre meine Antwort: Ja, aber eben eine Zensurmaßnahme die
- geignet und erforderlich ist, weil die Inhalte tatsächlich vom Netz verschwinden und
- angemessen ist, weil nur der Täter, also der Verbreiter kinderpornographische Inhalte, von dieser Maßnahme betroffen ist, aber eben nicht zu Lasten aller Internetnutzer eine Zensurinfrastruktur installiert und der gesamte Internetverkehr "gefiltert" wird (Telekommunikationsgeheimnis, Art. 10 GG).
btw09 - 5. Jul, 15:07