Grenzen der Verständigung
Warum die Auseinandersetzung um Internetsperren und Zensur erbittert geführt wird
Thomas Knüwer hat bereits vor der Verabschiedung des Gesetzentwurfes zur "Bekämpfung der Kinderpornographie" in Kommunikationsnetzen (jetzt "Zugangserschwerungsgesetz" - ZugErschwG) von einer "Schlammschlacht" gesprochen.
Früh schon hatte Familienministerin Ursula von der Leyen, inzwischen besser bekannt als "Zensursula", Kritikern vorgeworfen, sie wollten "weiterhin uneingeschränkt die Vergewaltigung von Kindern zeigen". Der zuständige Bundesminister Guttenberg sekundierte dann bezogen auf die Unterzeichner der E-Petition: "Es macht mich schon sehr betroffen, wenn pauschal der Eindruck entstehen sollte, dass es Menschen gibt, die sich gegen die Sperrung von kinderpornographischen Inhalten sträuben." Bedeutet wohl: die Unterzeichner wehren sich pauschal dagegen, dass sie keine Kinderpornographie mehr konsumieren sollen. Nur zur Erinnerung sei angemerkt, dass Frau von und zu Guttenberg Präsidentin eben jenes adligen Wohltätigkeitsvereines ist, dessen mangelnde Medienkompetenz mitursächlich für des Gesetzesvorhaben von Frau von der Leyen sein dürfte.
Das Ausmass der Verbalinjurien hat zwischenzeitlich eher zu- als abgenommen. Wenn sich die Debatte durch etwas auszeichnet, dann ganz besonders durch den schlechten Stil, in dem sie geführt wird: Da werden "Franziska Heine und ihresgleichen" als eine Schar kriminell-pädophiler Geschäftemacher, bestenfalls jedoch Anarchisten oder Kommunisten bezeichnet. Und sogar die sonst eher betuliche ZEIT gefällt sich darin, durch einen Heinrich Wefing eine Salve an Beleidigungen abzufeuern: alles Ideologen und Web-Anarchos.
Der Konflikt wirft, gerade weil er so erbittert geführt wird, die Frage auf, ob es jenseits der Sachebene strukturelle Gründe gibt, die es erschweren, im Rahmen des normalen politischen Prozesses den Konflikt zu befrieden und zu einer Verständigung zu gelangen.
1. Betroffenheit
In der vom Familienministerium mit Steuergeldern finanzierten Meinungsumfrage des Allensbach Institutes spricht sich eine große Mehrheit der Bevölkerung von 91% für Netzsperren im Kampf gegen Kinderpornographie aus. Laut den letzten Veröffentlichungen des Statistischen Bundesamtes verfügen aber nur 69% der Bevölkerung über einen privaten Internetzugang (nur 50% der Bevölkerung hat einen Breitband-Internetzugang). Was selbst aus der Allensbach Umfrage, mit all ihren absichtlichen oder unabsichtlichen Schwächen, deutlich wird: die Zustimmung zu Netzsperren im Kampf gegen Kinderpornographie steigt in dem Maße, als der Interviewte selbst von der gesetzlichen Regelung nicht betroffen ist, weil er das Internet kaum oder wenig nutzt. Ein italienischer Politikwissenschaftler soll in den 60er Jahren ironisch die Frage aufgeworfen haben, weshalb an einer Abstimmung über die Beendigung des amerikanischen Krieges in Vietnam nicht eigentlich auch der Vietcong beteiligt würde. Hier haben wir die umgekehrte Situation, denn natürlich sind für die politische Entscheidungsfindung auch diejenigen (Wähler-) Stimmen relevant, die von der gesetzlichen Regelung überhaupt nicht betroffen sind.
2. Intensität von Präferenzen
Die Germanen pflegten die Beschlussfassung der Stammesversammlung nicht durch förmliche Abstimmung und Auszählung der Stimmen durchzuführen, sondern durch Kundgabe der Zustimmung oder Ablehnung mit Hand und Mund. Das Schlagen mit der Waffe auf den Schild oder Beifallsrufe bedeuteten Zustimmung, lautes Murren Ablehnung. Was uns heute als Verfahren der Entscheidungsfindung befremdlich vorkommen mag, hat auch gewisse Rationalitätsvorsprünge: die Intensität der Präferenzen konnte so (wenigstens sinnlich) erfahrbar gemacht werden. Lautes Klappern mit den Waffen oder ein nur verhaltenes Murren kann die Zustimmung oder Ablehnung nach Intensität gewichten. Diese Intensität der Betroffenheit und der Präferenzen kann zwangsläufig bei einer reinen Abzählung von Stimmen nicht berücksichtigt werden.
Die Befürworter der Netzsperren erfassen durchaus, dass das Thema für die Gegner wiederum von hoher Präferenz ist. Aber sie können dies nur negativ erfahren - so z.B. Wolfgang Bosbach, stv. Fraktionsvorsitzender der CDU: „Das ist eine straff organisierte Community. Die leben in der virtuellen Welt intensiver als in der realen.“ Was allerdings Herr Bosbach oder auch Frau von der Leyen nur als organisierten Widerstand einer Lobby empfinden, ist in Wahrheit primär die Intensität der Ablehnung des Gesetzesvorhabens in Sachen Internetsperren.
3. Expertenwissen
Wie sich illegale Inhalte im Internet zeitnah und effektiv bekämpfen lassen ist ganz augenscheinlich Expertenwissen. Das BKA ist bei der Bekämpfung von kinderpornographischen Inhalten im Internet selbst Teil des Problems und scheinbar auch nicht willens zu einer Lösung beizutragen. Gegner des Gesetzesvorhabens analysieren Sperrlisten, lokalisieren Server und lassen die Server abschalten. Was die Bundesregierung bei der Bekämpfung von Kinderpornographie an eigenen Erkenntnissen beisteuern kann, läßt sich recht simpel zusammenfassen: die Bundesregierung hat keine eigenen Erkenntnisse. Es gibt in dieser Frage eine erhebliche Kluft zwischen dem machtlosen Wissen einer relativ kleinen Zahl von Spezialisten auf der einen Seite und dem allmächtigen Unwissen (der Mehrheit der Nichtfachleute) auf der anderen Seite - nicht die besten Voraussetzungen für eine Entscheidung nach Mehrheitsregel.
4. Öffentlichkeit
Der englische König hat 1642 in einer Erwiderung im Konflikt mit dem englischen Parlament gewarnt: Wenn das Parlament weiterhin seine eigenen Interessen gegen den König durchsetzen wolle, werde es nicht lange dauern, bis das Volk "dieses aracanum imperii entdecke, dass alles durch sie, aber nicht für sie getan wurde. (...) Sie werden selbst die Intiative ergreifen, Gleichheit und Unabhängigkeit als Freiheit verstehen" und so letztlich "alle Rechte und Besitztümer, alle Unterschiede von Familie und Verdienst" verschlingen. Geheime Kabinettspolitik ist das Kennzeichen absolutistischer Herrschaft, Demokratie dagegen ist durch Öffentlichkeit geprägt - jedenfalls dem normativen Ideal nach.
Öffentlichkeit bedeutet: Entscheidung des Parlaments nach und in einer öffentlich geführten Debatte und öffentliche Kontrolle des Handelns der Exekutive. An dieser Stelle soll zunächst nur der Prozess der Entscheidungsfindung nachvollzogen werden. Frau von der Leyen hat im Hinterzimmer der Politik und unter kaum verhohlenem Druck einer ansonsten drohenden Negativ-Kampagne gegen die Zugangsprovider (MdB Jörg Tauss: "Nötigung" [Update: @tauss nochmals zur Klarstellung: Vodafone/Arcor habens schon im Januar OFFENSIV vorangetrieben und mussten v. #Zensursula NICHT genoetigt werden.]) Verträge durchgesetzt, die die von ihr gewünschten Internetsperren zum Inhalt haben. Diese Verträge wiederum wurden von der SPD als Rechtfertigung dafür benutzt, warum jetzt eine eine gesetzliche Grundlage notwendig sei. In den Hinterzimmern der SPD wiederum dürfte eine nicht unentscheidende Rolle gespielt haben, ob denn nicht auch eine Negativ-Kampagne in Sachen "Kinderpornographie" gegen die SPD denkbar wäre: "In Parteikreisen kann man hören, was für ein 'Bockmist' der Entschluss sei. Aber von der Leyen sei sich nunmal nicht zu schade, der 'Kinderporno-Sau' eine SPD-Fahne anzuhängen, bevor sie diese durchs Dorf treibe." Als Schweinetreiber würde hier - wie immer - die BILD dienen. Art und Weise des Zustandekommens des Gesetzes ist jedenfalls das gerade Gegenteil eines an sachlicher Richtigkeit orientierten öffentlichen Diskurses.
Die Art und Weise des Zustandekommens des Gesetzes ist zugleich auch ein schlechtes Omen für das Leyensche Feigenblatt: Wie sollte wohl eine effektive Kontrolle der geheimen BKA-Sperrliste durch ein vierteljährlich tagendes Expertengremium denkbar sein, wenn sich jeder Experte in diesem Gremium der Gefahr ausgesetzt sehen muss, den Schweinen zum Fraß vorgeworfen zu werden.
Fazit:
Neben einem Generationkonflikt - zwischen Digitale Natives und Offlinern - gibt es in der Auseinandersetzung um Internetsperren und Zensur strukturelle Gründe, die zwangsläufig (?) zu der Verhärtung geführt haben: ein relativ geringer Anteil der interessierten Öffentlichkeit beteiligt sich mit hoher Intensität der Präferenz an einer Debatte, die zu führen relatives Expertenwissen voraussetzt. Genau jenes Wissen, das in der Politik nicht beheimatet ist. Die entscheidenden Debatten werden dann auch nicht öffentlich geführt sondern durch taktische Erwägungen in den Hinterzimmern der Politik bestimmt. All dies sind in der Meteorologie der Politik die besten Voraussetzungen für ein politisches Unwetter, wenn nicht sogar einen Sturm. Wenn diese Analyse stimmt, ist ein Teil des Schadens bereits angerichtet (Ursula von der Leyen wird z.B. in ihrem politischen Leben wohl immer "Zensursula" bleiben). Zur Lösung dieses Konflikts könnte die Gesellschaft dann länger brauchen, als die voraussichtliche Gültigkeitsdauer des Gesetzes. Das Zugangserschwerungsgesetz soll erst einmal nur 3 Jahre gelten - bevor es dann gegen Ende der nächsten Legislaturperiode erneut dem demokratischen Willensbildungsprozess im Parlament sich wird stellen müssen.
Metereologie ;-)
Das Gemauschel fand übrigens auch "sehr demokratisch" (vdL) in (nicht-öffentlichen) Ausschußsitzungen sowie zwischen CDU- und SPD-Vertretern statt.
Beide loben sich, die Kritikpunkte aufgenommen zu haben, und feiern sich als Erfinder des Grundsatzes "Löschen vor Sperren", der im Gesetz jedoch keinesfalls umgesetzt ist.
Die (weiterhin bestehenden) verfassungsrechtlichen Einwände wurden von der Koalition nicht einmal am Rande angesprochen.
Die Gefahr von "Kollateralschäden", aus der sich der Vorwurf der Zensur herleitet und rechtfertigen läßt, wurde ebenfalls scheinbar nicht erkannt und vollkommen ausgeklammert, was man auch daran erkennt, daß im ZugErschwG zwar Artikel 10 GG, nicht jedoch Artikel 5 zitiert wird.
Ob die lokalen Gewitter allerdings zu einer Änderung der Gesamtwetterlage ausreichen, bleibt fraglich.
Für Hinweise dankbar!
Zu den Einflussmöglichkeiten auf die 'politische Wetterlage' kann in den nächsten Tagen ein Beitrag erwarten werden.
Zu den Einflussmöglichkeiten auf die 'politische Wetterlage' kann in den nächsten Tagen einen Beitrag erwarten werden."
Na denn - es sollte besser 'ein Beitrag erwartet werden' lauten.
;)