Possenspiel
Wahlkampf paradox
Der Wahlkampf hat bisher darunter gelitten, dass er nicht stattgefunden hat. Die Langweiligkeit dieses Wahlkampfes könnte wahrscheinlich nur von der Fernsehübertragung eines Angel-Wettbewerbs übertroffen werden. Jetzt helfen sich FDP und Union wechselseitig.
Die verzweifelten Versuche der SPD so etwas wie Wahlkampf zu machen und gleichzeitig die letzte verbliebene Machtoption - nämlich Fortsetzung der großen Koalition - zu retten, liefen ja darauf hinaus, dem Wähler Angst vor einer schwarz-gelben Koalition zu machen. Was tun, wenn man diese Strategie der SPD unterlaufen möchte? Nun, Guido Westerwelle wehrt sich gegen diesen Angriff gleich so, dass er damit auch Schlagzeilen macht: er lamentiert lautstark über den Linksrutsch der CDU:
Im Ernst: Ich bin entsetzt über den Linksrutsch der CDU. Millionen Wähler, die sich zur FDP wenden, auch. Die Union wird der SPD immer ähnlicher.
Das Kalkül dahinter dürfte klar sein. Wenn überhaupt einem Politiker wahre Aussagen zuzutrauen sind, dann doch wohl, wenn er eine Konkurrenzpartei beleidigt. Schlagzeilen gibt es dafür auch in Wahlkampfzeiten immer. Und so kann Guido Westerwelle subtil dem Wähler die Angst vor Schwarz-Gelb nehmen, indem er nämlich die Union sozialdemokratischer Umtriebe verdächtig macht.
Und die Union? Die Union hat natürlich das Problem, dass sie aus der Regierung heraus Wahlkampf machen muss. Und jeder wirtschaftspolitische Änderungsvorschlag wirft sofort die Frage auf, weshalb ihn die Union nicht bereits umgesetzt hat. Außerdem hat die Union mit "dem Professor aus Heidelberg" bereits einmal schlechte Erfahrungen gemacht, was allzu kühne Änderungsvorschläge in Wahlkampfzeiten betrifft. In dieser Situation attackiert jetzt Horst Seehofer die FDP:
"Die Liberalen gefährdeten mit ihren 'neoliberalen Schreckgespenstern' im Wahlkampf den Erfolg von Schwarz-Gelb, polterte CSU-Chef Horst Seehofer in der «Bild am Sonntag». "
Die Union vermeidet mit diesen Angriffen auf die FDP die seinerzeitige Verunsicherung der Wähler, die in 2005 noch einmal unversehens die SPD in die Regierung gespült hat und macht trotzdem all jenen Mut, die sich tatsächliche eine marktliberalere Wirtschaftspolitik versprechen.
Wahlkampf paradox? Union und FDP simulieren nur einen Wahlkampf zwischen jenen Parteien, die doch (angeblich unumstößlich) die nächste Regierung bilden werden. Und sie werfen sich wechselseitig Dinge vor, die jeweils Teile der Wählerschicht dazu bringen könnten, eine schwarz-gelbe Koalition an die Macht zu bringen. Dabei ist doch ganz klar: Angela Merkel ist mit Sicherheit kein Willy Brandt. Und noch weniger als ein Hans-Dietrich Genscher hat Guido Westerwelle die wirtschaftspolitische Statur eines Otto Graf Lambsdorff.
Aber eins ist klar: wer Angela Merkel mit Willy Brandt und Guido Westerwelle mit Graf Lambsdorff verwechselt der glaubt an eine Regierungsfähigkeit von Schwarz-Gelb, die so jedenfalls nicht vorhanden ist.
btw09 - 6. Sep, 22:19
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