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Sperren und Zensur

Donnerstag, 24. September 2009

Laß ruhn den Stein...

...Er trifft Dein eigenes Haupt!

Am heutigen Tag wurde bekannt, dass ein hochrangiger Beamter im bayerischen Sozialministerium und ehemaliger CSU MdB sich vor dem Verwaltungsgericht hätte verantworten sollen. Grund: Der Beamte sollte wegen Besitzes kinderpornographischer Daten aus dem Dienstverhältnis entfernt werden. Dazu ist es nicht mehr gekommen, weil der Beamte von sich aus den Dienst quittierte.

Wäre nicht Wahlkampf, hätte der Vorgang keine Beachtung erfahren. Aber im Lichte der Debatte um Netzsperren und den Fall Tauss und auch wegen der aktuellen Euphorie rund um die Piratenpartei, steht der Fall dann plötzlich in anderem Licht da. Und dazu sei dann doch etwas ergänzt:

1. Vorsicht ist geboten, wenn es darum geht, Sachverhalte, die man nicht kennt, zu beurteilen. Das juristische Urteil kann ohnehin Gerichten überlassen bleiben. Das gilt im einen, wie im anderen Falle.

2. Eine politische Dimension bekommt der Vorgang nur insofern, als es Frau von der Leyen war und ist, die Kritikern ihres Netzsperrengesetzes die Unterstützung von Kindesmissbrauch vorwirft. Und genau diese Art des politischen Kindesmissbrauchs von Frau von der Leyen fällt natürlich im Zweifel und sei es auch in sehr drastischer und zynischer Weise auf die CDU zurück.

3. Erschwerend kommt hinzu, dass innerhalb der SPD Widerstand gegen das Gesetz von Frau von der Leyen unter anderem wegen des Falles Tauss nur schwer möglich war. Das hat der politische Gegner mindestens ausgenutzt.

Und wegen dieser Debatte muss man jetzt schon sagen: würden wir im Stil wie Zensursula argumentieren, dann wäre ja klar, weshalb es seitens der CDU/CSU kein nachhaltiges Engagement für die Löschung von Kinderpornographie im Internet gibt.

So fällt eine perfide und hochemotionale Methode der Diskreditierung der Kritiker letztlich auf die CDU und Frau von der Leyen selbst zurück.

Dienstag, 18. August 2009

Die totale Kontrolle

Abwehrkampf

Heute sind netzpolitisch 3 Dinge gleichzeitig passiert. Netzpolitik.org hat auf ein Video einer Wahlkampf-Veranstaltung von Frau von der Leyen hingewiesen. Wegen der doch recht harschen Reaktionen folgte sogleich ein Aufruf zur Mäßigung: "Argumentieren ist besser als Beschimpfen". Und zu alledem wurde auch bekannt, dass beim BMWi eine "Expertenrunde" zum Thema Bekämpfung der Internetpiraterie tagt. Worauf steuern wir eigentlich bei netzpolitischen Themen zu?

1. Zensursula im Wahlkampf?

Wer die Debatten um Internetsperren und Zensur verfolgt hat, kann nicht wirklich verwundert sein über das, was Frau von der Leyen in der o.g. Rede von sich gegeben hat. Das unterscheidet sich inhaltlich in Nichts von dem, was aus dem Familienministerium bisher verlautbart wurde. Unwahrscheinlich war auch die Annahme, die Familienministerin könne sich womöglich zwischenzeitlich bessere Sachkenntnisse angeeignet haben.

Was also ist der Aufreger? Warum nicht die Rede abheften als Wahlkampfgetöse? Nun, was trotz Wahlkampf befremdet ist ganz klar der Sprachduktus. Die scharfe Aussprache, die Lautstärke und die Art, wie hier ausschließlich Emotionen bedient werden - das macht den Mitschnitt der Rede zum Thema! "Demagogie" ist noch zu schwach - die Rede ist schlichtweg furchteinflössend!

Sind deswegen die Reaktionen so scharf?

2. Panzer rollen durch das Internet

In dem Aufruf zur Mäßigung, den Netzpolitik veröffentlicht hat, gewinnt man den Eindruck, es ginge hier nur darum, dass das Quantum an Forentrolls das erträgliche Maß überschritten habe. Die Dynamik der Situation und die dahinter stehende Problematik wird nur unzureichend erkannt.

Die offizielle Politik benimmt sich derart ignorant gegenüber der Lebenswelt der Nutzer und deren Erfahrungen im Internet, dass man - und nicht erst seit gestern oder heute - den Eindruck gewinnen muss, der Bundeswehreinsatz im Inneren sei längst gebilligt. Die Kritiker von Sperren und Zensur werden von Zensursula verbal niederkartätscht. Die Berliner Politik rollt in ihrer besinnungslosen Regelungswut wie ein Panzer durch das Internet. Was sollten denn wohl auf einen solchen Politikstil die angemessenen Reaktionen sein?

3. Wo wird gefochten

Die Widerstandsmetaphorik im Netz und deren aktuelle Verwendung ist tatsächlich signifikant. Es zeigt die Stimmung im Netz. Die Netzgemeinschaft befindet sich - in welchem Umfang nur gefühlt oder tatsächlich sei dahingestellt - im Abwehrkampf. Das erklärt die überhitzten Reaktionen. Und es bringt Probleme mit sich. Denn wie in einem wahren Gefecht droht der Überblick verloren zu gehen.

Kaum einer scheint Notiz davon genommen zu haben, dass heute Netzpolitik eben auch über Verhandlungen beim BMWi berichtet hat. In diesen Verhandlungen geht es, so das BMWi, darum, dass dem geistigen "Eigentum in der digitalen Welt zu wenig Schutz geboten werde." Deshalb verhandelt man unter der Leitung des BMWi über "mehr Kooperation bei der
Bekämpfung der Internetpiraterie". Und das bedeutet eben nach Ansicht der Verwertungsindustrie auch:

"Die Ansprache von potenziellen „Piraten“ solle nicht nur kollektiv sondern zunehmend individualisiert geschehen. (...) Man werde nicht ohne Sanktionen auskommen." Und natürlich: "Seitensperrungen von überwiegend illegalen Seiten."

Darüber wird aktuell beim BMWi verhandelt - dort findet das nächste Gefecht statt.

Update Jörg Rupp schreibt in seinem Blog:

Wer unentschlossen ist, ob er oder sie wählen soll, der sollte es nach diesem Vortrag nicht mehr sein. Diese Demagogen dürfen nicht weiter regieren. (...) Ihnen ist nichts heilig, gar nichts. Schickt sie heim. Sie haben keinen Tropfen Ehrgefühl im Leib und sind eine Gefahr für diese Demokratie. Wählt.

Sonntag, 16. August 2009

Der Widerstreit

Das Andere der Vernunft im Netz

Mit einem Kommentar unter der Überschrift "Freiheit der Mörder" setzt sich Hans-Ulrich Jörges im Stern vehement für die Zensur rechtsextremer Internet-Seiten ein. Jörges reagiert damit auf eine Veröffentlichung von jugendschutz.net, wonach Rechtsextreme im vergangenen Jahr ihre Aktivitäten im Internet verstärkt hätten. Wie die gesamte Folgeberichterstattung übersieht auch Jörges dabei ein wesentliches Faktum - anders als das BKA arbeitet jugendschutz.net nämlich effizient in der Bekämpfung dieser Seiten:

"Insgesamt konnte jugendschutz.net im vergangenen Jahr in 80 Prozent der unzulässigen Fälle die Entfernung der Inhalte erreichen."
Man könnte es also dabei bewenden lassen, den Kommentar unter die Rubrik "Weitere populistische Vorschläge von netzpolitischen Ignoraten" einzusortieren. Schließlich sagt Jörges ja nichts Anderes als der bayerische Innenminister auch. Trotzdem sei hier etwas grundsätzlicher Stellung genommen.

1. Neonazi-Seiten - was ist illegal

Auch wenn die Überschrift des Kommentars von Jörges es anders suggeriert - inhaltlich geht es bei dessen Intervention nicht um konkrete Mordaufrufe (das wäre wohl in jedem Land der Welt strafbar), sondern um den üblichen Neonazi-Müll (Holocaust-Leugnung, Antisemitismus). So unerwünscht diese rechtsextremen Inhalte sind, sofern die Webseiten im Ausland betrieben werden (und in englischer Sprache), ist dies nach deutschem Recht legal. Das deutsche Recht ist nun einmal auf ausländische Webseiten nicht anwendbar. Und bei Inlandssachverhalten braucht es keine Sperren, da hier die Erfolgsquote bei der Löschung solcher Seiten bei 100% liegen dürfte.

Die erschütternde Wahrheit ist also: deutsches Recht gilt grundsätzlich nur in Deutschland und nicht für den Rest der Welt. Die von Jörges gewünschten Sperren beziehen sich demnach (überwiegend) nicht auf illegale Sachverhalte.

Außerdem: Es ist nicht strafbar, sich rechtsextreme Webseiten anzuschauen. Internetnutzer haben das Recht (!), sich diese Seiten anzuschauen. Die eigentliche Frage ist also keine juristische Frage. Im Kern geht es darum, ob wir uns in Deutschland auf ausländischen Webseiten über die politischen Ansichten von Neonazis informieren dürfen.

2. Das überlegene politische Wissen

Für eine Beurteilung der (Neo-) Nazi-Ideologie ist die Tatsache vollkommen ausreichend, dass im Dritten Reich 6 Millionen Juden umgebracht wurden. Die Gesamtzahl der Opfer im Zweiten Weltkrieg betrug ca. 55 Millionen. Damit ist mehr als ausreichend geklärt, was von dieser Ideologie zu halten ist. Wenn es aber darum geht, Inhalte und Meinungen mit repressiven Mitteln von argumentativen Auseinandersetzungen auszuschließen, ist Skepsis angebracht.

Wer politische Ansichten (seien sie auch noch so falsch und verabscheuungswürdig) mit repressiven Mitteln in der politischen Diskussion ausschalten will, der müßte einen jeglichem Zweifel enthobenen, überlegenen Standpunkt des objektiv richtigen politischen Wissens einnehmen.

Wovon aber sollte dieser quasi extramundane Standpunkt abgeleitet werden?

a. Seit Nietzsche und Freud kann man wissen, dass das ach so aufgeklärte Subjekt, sich in seinem konkreten Handeln durch psychologische Motivationen leiten läßt. Für den Nazismus und dessen psychologische Struktur lese man zum Beispiel Erich Fromm, "Die Furcht vor der Freiheit".

Jetzt läßt sich nun allerdings schlechthin jeder Mensch auf die "Couch legen" und hinsichtlich seiner unbewußten Motivationsstruktur hinterfragen. Für Politiker im Allgemeinen siehe etwa: Wolfgang Schmidbauer, "Ist Macht heilbar". Aufschlussreich wäre zum Beispiel auch eine Analyse der Sicherheitsparanoia von Wolfgang Schäuble im Hinblick auf dessen eigene traumatische Attentatserfahrung.

Wer also, so lautet die Frage, ist in der Lage, die eigenen Motivationen und psychischen Strukturen zu überwinden und der klassischen Trias falschen Bewußtseins - Lüge, Irrtum, Ideologie - zu entgehen?

b. In der "Dialektik der Aufklärung" beschreiben Adorno/Horkheimer wie die aufgeklärte Vernunft sich in ihrer zweckrationalen Logik selbst Zwang und Gewalt antut. Die instrumentelle Vernunft benutzt ihr erkenntnistheorethisches Begriffsinstrumentarium, um Sachverhalte in der Welt begreifbar und damit beherrschbar zu machen. Das Irrationale, das, was letzlich inkommensurabel ist, muss dieser Herrschaftsvernunft fremd und unverständlich bleiben.

Jean-Francois Lyotard hat in "Das postmoderne Wissen" die Folgen dieser negativen Dialektik der Aufklärung dahingehend zugespitzt, dass die großen Erzählungen der Moderne selbst delegitimiert werden. Die großen Versprechungen der Aufklärung und der Moderne im Bezug auf die Emanzipation und Selbstbestimmung des Subjekts werden mindestens fragil, wenn nicht obsolet.

Auf einer weniger hohen Abstraktionsstufe ist also zu fragen, ob die unerwünschten Folgen politischer Repression nicht deren positiven Effekt überwiegen können. Wird durch die Unterdrückung einer politischen Meinung nicht erst eine Propaganda des "Freiheitskämpfers" möglich? Schaffen Netzsperren nicht auch eine Aura des subversiv-elitären mit einer besonderen Anziehungskraft für Jugendliche? Und erwecken Stopp-Schilder im Netz nicht den Eindruck, der Staat beherrsche mit administrativen Mitteln deviantes Verhalten - während es sich hinter den Stopp-Schildern nur umso ungehemmter vollzieht?

c. Wer sich mit Vernunftkritik befasst, wird bei dem Vorgenannten nicht stehenbleiben können. Das, was wir "Wissen" nennen, ist selbst eine zu hinterfragende Größe geworden. Wissen, also selbst das sogenannte "empirische Wissen" der wissenschaftlichen Erbsenzähler, ist letztlich nichts anderes als ein partikulares "Sprachspiel". Eine Prävalenz des einen Sprachspiels gegenüber anders gearteten Sprachspielen gibt es jedoch ebensowenig, wie ein sinnkonstitutives Subjekt, das allen Sprachspielen vorgängig, dem sprachlichen Zeichen erst seinen Sinn verleiht.

Anders formuliert: Wir werden damit leben müssen, dass sich Diskurse unbeinflusst voneinander in verschiedenen Sprachwelten fortsetzen, ohne dass es einen Metadiskurs gibt, der letztgültig die Wahrheit und Legitimität des einen Diskurses gegenüber einem anderen Diskurs verbürgen könnte - das ist der Widerstreit.

3. Deliberative Demokratie

Wer nun weder die abendländische Vernunft im Ganzen über Bord werfen möchte, noch aber auch die Ergebnisse der Vernunftkritik ignorieren will, sieht sich in einem Dilemma (das hier natürlich nicht vollständig aufgelöst werden kann). Wie ist sinnvollerweise mit dem Anderen der Vernunft - also hier auf den äußersten Fall zugespitzt: Neonazi-Webseiten - umzugehen? Denn es ist doch auch gewiss, dass nicht jeder irrationale Trieb legitimerweise befriedigt werden dürfte. Und nicht jeder Diskurs ist es wirklich wert, dass er fortgesetzt würde.

Es bleibt die schwache Hoffnung, die Teilhabe am (politischen) Diskurs selbst könne Reste von Legitmität und Rationalität gewährleisten. Wie aber differenzieren, wer am Diskurs teilhaben darf?

Eine radikalisierte Skepsis in eigenen Angelegenheiten bedeutet in der politischen Auseinandersetzung: Wer, wie es Neonazis tun, die Voraussetzungen demokratischer Partizipation aller an einer Entscheidung leugnet (und hier sogar deren Existenzrecht), hat selbst keinen Anspruch darauf, an dem Diskurs teilzunehmen. Aber es mag trotzdem vernünftig sein, den öffentlichen Raum der Debatte auch für Neonazis nicht über Gebühr zu beschränken.

Wieder anders formuliert: eine Debatte darüber, ob ein öffentlicher Aufruf von Georg Elser zum Mord an Adolf Hitler nach Ansicht von Neonazis hätte zensiert werden sollen, würde sicherlich interessant sein. Und im Vergleich dazu würde es gewiss auch nicht frei von Interesse sein, ob Neonazis ihrer Meinung nach zurecht wegen § 130 StGB verfolgt werden.

Wer sich dieser Skepsis verschließt und für sich gesicherte (politische) Erkenntnisse reklamieren möchte, "marschiert als Verarmter im Geiste in die Hölle, die sein Himmelreich ist."

[Update: Reine Koinzidenz: Den partizipatorischen Ansatz einer Teilhabe an den relevanten Debatten vertrittt (ohne Bezug auf die konkrete Problematik) auch Wolfgang Kleinwächter in dem lesenswerten Beitrag "Websperren: Internetpolitik von Gestern". Der Artikel verdient uneingeschränkte Zustimmung mit der Ausnahme, dass Websperren eine Internetpolitik von Vorgestern sind.]

Freitag, 24. Juli 2009

Sperren statt Löschen um V-Server im Ausland zu schützen

Wie geht man eigentlich mit dem Ausland um?

Es wurde hier bereits vermutet, dass aus polizeitaktischen Erwägungen Server mit kinderpornographischen Inhalten nicht sofort abgeschaltet werden, um verdeckt weitere Ermittlungen durchführen zu können. Dazu gibt es jetzt von unerwarteter Seite eine Bestätigung.

Martin Dörmann, Verhandlungsführer der SPD beim Zugangserschwerungsgesetz, hatte zu einer Veranstaltung eingeladen. Der Audio-Mitschnitt der Veranstaltung ist über netzpolitik.org verfügbar. Es wurde ein Teil transkribiert (es geht um Server mit kinderpornographischen Inhalten im Ausland und um "Löschen statt Sperren"):

"Wie geht man eigentlich mit dem Ausland um? Also sagt man da, da muss in jedem Falle gelöscht werden, egal wie lange das dauert? Da besteht zwischen dem AK Zensur und dem BKA ein großer Meinungsunterschied. Ich habe mich ja auch, wie gesagt, mit Herrn Freude vom AK Zensur, der da an der Spitze der Bewegung steht, mich mal in dieser Frage unterhalten. Der sagt: 'Wir haben den Test gemacht haben: Wenn wir dem Provider einen Hinweis gegeben haben, dann wurden die Inhalte relativ schnell runtergenommen. Wenn dies das BKA machen würde, würde das auch passieren.' Jetzt muss man aber zwei Dinge beim BKA berücksichtigen im Ausland:

Das BKA ist eine Behörde. Die kann natürlich im Ausland nicht so agieren wie in Deutschland. Da ist die große Streitfrage, was ist da bereits 'hoheitliches Handeln', was gegebenfalls der Bundesrepublik zuzurechnen ist - mit allen Folgen: also sowohl politischen Folgen, als auch vielleicht sogar rechtlichen Folgen."


Hier ein kurzer Einschub: Wenn das BKA Abuse-Mails auschließlich zu einwandfrei kinderpornographischen Inhalten verschickt: welche rechtlichen Konsequenzen sollte das haben? Und die "große Streitfrage", ob das BKA Abuse-Mails verschicken darf, ist in Wahrheit keine - mindestens keine große. Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat ein solches Vorgehen nicht als "hoheitliches Handeln" und damit als zulässig qualifiziert.

Warum sollte also Löschen im Ausland ein Problem sein. Jetzt Teil 2 der Erläuterungen von Martin Dörmann:

"Der zweite Gesichtspunkt ist das Problem, dass es im Einzelfall auch so sein kann, dass man vielleicht recherchiert im Ausland, genau an dieser Stelle. Und dass man sogar polizeiliche Ermittlungen im Ausland stören kann, wenn man den Hinweis gibt: 'Es ist bekannt, dass Du da so eine Seite hast. Wir tun da was dagegen.'

Das sind Fragen, da muss man einfach auch sehen, dass die vom BKA so angeführt werden."


Also hoppla: Die kinderpornographischen Inhalte sind bereits im Ausland von der Polizei entdeckt worden, aber die Server werden nicht abgeschaltet, sondern als verdeckt operierender V-Server durch die Polizei im Ausland in Dienst genommen. Um weitere Ermittlungen durchführen zu können...

Da stellt sich doch die Frage, wer hier weiterhin uneingeschränkt die Vergewaltigung von Kindern zeigen lässt?

Und als wäre dies nicht schon bedenklich genug (man möchte eigentlich gar nichts mehr über Polizeitaktik wissen): Genau diese polizeilichen V-Server mit Kinderpornographie sind der Grund, weshalb das BKA, laut Martin Dörmann, Sperren in Deutschland für notwendig hält. Nämlich: um die Ermittlungen im Ausland nicht durch Abuse-Mails vom BKA zu stören.

Also entweder ist das BKA technisch unheimlich naiv oder die Politik hat sich vom BKA einen mächtigen Bären aufbinden lassen. Denn natürlich können "Sperren" einen Täter im Ausland ebenfalls warnen bzw. sie sind dazu sogar hervorragend geeignet.

Politisch aber bedeutet dies: wir bekommen Netzsperren in Deutschland um polizeiliche V-Server mit Kinderpornographie im Ausland zu schützen.

[Update: "V-Server" wird hier analog zu "V-Mann" benutzt. Das hat natürlich nichts mit virtuellen Servern zu tun...]

Dienstag, 21. Juli 2009

Grenzenloses nationales Recht

Was passiert, wenn "Löschen statt Sperren" keine Lösung ist?

Dass eine auf die Spitze getriebene juristische Regelungsdichte und Rechtsdurchsetzung im Ergebnis materielle Gerechtigkeit nicht nur nicht fördert, sondern sogar bedrohen und äußerstenfalls zuwider laufen kann, gehört zum Traditionsbestand der Selbstreflektion der Gesellschaft. Unter dem lateinischen Sprichwort "Summum ius summa iniuria" ist die Problematik seit der Antike bekannt.

In Shakespeares "Der Kaufmann von Venedig" besteht allein aus Rachegelüsten der Kaufmann Shylock auf seinen Anspruch gegen den Schuldner Antonio. Der Richter entgegnet ihm:

"Denn, weil Du dringst auf Recht, so sei gewiß,
Recht soll dir werden, mehr als du begehrst."

Darauf wendet der Richter letztendlich eine rabulistische Interpretation der Vereinbarung zwischen dem Kaufmann und seinem Schuldner an, die aber im Ergebnis der materiellen Gerechtigkeit dient.

Das Rechtssystem kennt nun vielerlei Rechtsinsitute, um den Zielkonflikt zwischen unbedingter Rechtsdurchsetzung einerseits und materieller Gerechtigkeit andererseits in den Grenzen des Rechts selbst abzuarbeiten. Ein Beispiel hierfür mögen Verjährungsfristen sein. Der Gläubiger hat seinen Anspruch lange Zeit nicht verfolgt, also kann der Schuldner sich nach Ablauf der Verjährungsfristen im Interesse des Rechtsfriedens auf Verjährung berufen.

Ein anderes, ebenso intuitiv verständliches Prinzip ist das Territorialitätsprinzip. § 3 StGB bestimmt schlicht:

"Das deutsche Strafrecht gilt für Taten, die im Inland begangen werden."
Wer zum Beispiel als Deutscher in den USA eine englischsprachige Webseite betreibt und dort den Holocaust leugnet, macht sich - auch als Deutscher - nicht nach dem hiesigen Strafrecht (§ 130 StGB) strafbar. Man kann es auch deutlicher formulieren: das Leugnen des Holocaust im Ausland und für ausländische Nutzer ist nach deutschem Recht legal - schlicht deshalb, weil deutsches Recht auf diese Sachverhalte nicht anwendbar ist.

Das hat nun seinen guten Sinn - denn schließlich möchte man sich als Betreiber einer inländischen Webseite auch nicht unbedingt nach iranischem, afghanischem oder chinesischem Strafrecht strafbar machen - auch wenn selbstverständlich die Inhalte (vorbehaltlich entsprechender Zensureingriffe) in diesen Ländern abgerufen werden können.

In diesen Konstellationen kommt es zu der Situation, dass die Devise der Sperrgegner "Löschen statt Sperren" nicht funktionieren kann. Die Inhalte sind im Ausland ja nicht strafbar und können ohne freiwillige Mitwirkung der Host-Provider nicht gelöscht werden.

Wir reden hier wohlgemerkt nicht von kinderpornographischen Inhalten im Web. Diese sind - soweit ersichtlich - global geächtet. Und natürlich wußte auch Frau von der Leyen bisher kein Land zu nennen, in dem Kinderpornographie tatsächlich nicht strafbar ist. Mit Rücksicht auf mögliche weitere diplomatische Verwicklungen ist zu hoffen, dass sie vom Länderraten im Sinne einer Quizshow zukünftig Abstand nimmt.

Was also passiert in den Fällen, in denen die Inhalte im Ausland nicht strafbar sind?

An dieser Stelle ein kleiner Einschub: es ist in Deutschland ebenfalls nicht strafbar, volksverhetzende Internet-Seiten, in denen etwa der Holocaust geleugnet wird, aufzurufen. Der Nutzer in Deutschland macht sich also im Normalfall ebenfalls nicht strafbar.

Wer hier in dieser Situation die Ausweitung der beschlossenen Netzsperren auf andere Sachverhalte, wie etwa sogenannte Hass-Seiten fordert, der muss sich über Folgendes im Klaren sein:

Die Vorteile eines globalen Kommunikationsnetzes müssten aufgegeben werden zugunsten eines renationalisierten "Deutschnetz".

Und außerdem: das nationale Rechtssystem wird überdehnt in der Anwendung auf Auslandssachverhalte, die in begründeter Selbstbeschränkung der Beurteilung des nationalen Rechts entzogen sind.

Wenn also "Löschen statt Sperren" nicht funktioniert, wäre es aus vielerlei Gründen - und dazu gehören eben auch rechtliche Gründe - vernünftig, dies hinzunehmen. Die Frage wird nur sein, ob der Politik eine solch weise Selbstbeschränkung zuzutrauen ist.

Donnerstag, 16. Juli 2009

Wefing und die Zensur

Sind Netzsperren Zensur?

Thomas Stadler wirft in seinem Blog die Frage auf, ob Netzsperren Zensur sind. Er reagiert damit auf einen entsprechenden Kommentar des notorischen Wefing (den ich hier aus Gründen der Netz-Hygiene nicht verlinke). Meiner Meinung nach packt Thomas Stadler das Problem nicht ganz richtig an, aber für einen Kommentar war mir die Sache jetzt doch zu komplex. Deshalb hier in Ergänzung eines früheren Beitrages ein Blogeintrag dazu:

1. Schäuble und von der Leyen wehren sich nicht gegen den juristischen Begriff der Zensur sondern gegen den politischen Begriff der Zensur. Das Problem ist ja, dass alles was der demokratischen Öffentlichkeit als Information entzogen wird, in einer Demokratie die autonome Entscheidung des Wahlvolkes zu delegitimieren droht. Die bürgerlich-liberale Forderung nach grundsätzlich unbeschränkter Öffentlichkeit richtet sich gegen die feudale Arkanpolitik. Instituionalisierte Zensur bedroht also im Grunde das Fundament der demokratischen Willensbildung und stellt die gesamte "Volkssouveränität" in Frage.

Deshalb ist "Zensur" dem Grundsatz nach illiberal und sogar anti-bürgerlich. Der "Zensur"-Vorwurf ist genau deshalb so gefährlich - sogar für die CDU. Und in dieser politischen Hinsicht ist der "Zensur"-Vorwurf auch eindeutig gerechtfertigt.

2. Was den juristischen Begriff der Zensur angeht ist richtigerweise von Thomas Stadler klargestellt worden, dass Art. 5 Abs. 1 Satz 3 "Eine Zensur findet nicht statt." sich nur auf die Vorzensur bezieht. Untersagt ist also nur, dass Inhalte vor Veröffentlichung einer Behörde vorgelegt werden müssen, die dann die Inhalte genehmigt oder eben als rechtswidrig nicht genehmigt. Eine Vorzensur wird durch das Gesetz von #zensursula nur in Aunahmefällen installiert (die Inhalte einer Website werden geändert und/oder der Domaininhaber wechselt). Den Vorwurf einer grundrechtswidrigen "Vorzensur" wird man also kaum erheben können.

3. Wenn es einen juristischen Begriff der "Vorzensur" gibt, dann gibt es logischerweise auch einen juristischen Begriff der "Nachzensur". Und um eine "Nachzensur" im juristischen Sinne des Wortes handelt es sich bei dem Zugangserschwerungsgesetz natürlich! Und auch eine "Nachzensur" muss verfassungsgemäß sein. Genau das steht aber hier mehr als in Frage.

4. Schlussfolgerung im jetzigen Stadium: Als politischer Vorwurf einer (nicht gerechtfertigten) "Zensur" läßt sich an dem Begriff festhalten. Und juristisch betrachtet dürfte es sich bei dem aktuellen Gesetz von von der Leyen um eine verfassungswidrige Nachzensur handeln. Ergänzendes zum Begriff der Zensur findet sich im Beitrag "Zensur des Begriffs - Begriff der Zensur".

Montag, 13. Juli 2009

Was macht die Polizei

V-Server?

Folgende Meldung sollte stutzig machen: Spiegel online meldete am 28.06.2009 "Polizei gelingt Schlag gegen Kinderporno-Netz" und erläutert im Text, "im Mai 2008 sei eine legale Hip-Hop-Internetseite von der Waadtländer Kantonspolizei beobachtet worden, auf der unbekannte Täter in einem Forum illegale Kinderpornofilme derart versteckt hätten, dass die lokalen Betreiber der Seite dies nicht bemerkt hätten."

Nun, wenn die Meldung richtig ist, wurden die Inhalte im Mai 2008 entdeckt und im Juni des Jahres 2009 gibt die Schweizer Polizei bekannt, es seien im Zuge der Ermittlungen, die sich über mehrere Wochen erstreckt hätten, 2299 Computer-Adressen in 78 Ländern ausfindig gemacht worden. Da IP-Adressen häufig schneller gelöscht werden, als der Polizei lieb ist (deswegen: Vorratsdatenspeicherung) wird die Ermittlung der IP-Adressen wohl kaum ein Jahr gedauert haben. Was aber ist während der 13 Monate zwischen der Entdeckung und der Erfolgsmeldung der Schweizer Polizei mit den kinderpornographischen Inhalten geschehen? Wurden die Inhalte sofort nach Bekanntwerden gelöscht?

Bei Heise ist eine Bemerkung zu lesen, die ebenfalls stutzig macht. Eckhard Fischer, Wirtschaftsreferent der SPD-Bundestagsfraktion, äußert sich zur Umgehung der DNS-Sperren durch Nutzer:

"Wer zu solchen Maßnahmen greife, müsse sich aber auch fragen, 'wer ihm Beifall spendet'. Durch das 'massenhafte' Umgehen der geplanten Stopp-Seiten könnten sich Päderasten besser in der Menge verstecken und eine Strafverfolgung vermeiden."

Abgesehen davon, dass man kaum zufällig auf Seiten mit kinderpornographischen Inhalten landet, wie könnten sich hier Pädophile "in der Masse verstecken", wenn die DNS-Sperren umgangen werden. Das geht doch nur dann, wenn genau dadurch die Ermittlungsergebnisse der Zugriffe auf den Logfiles des Servers mit den kinderpornographischen Inhalten so "verwässert" werden, dass die Ergebnisse untauglich sind (wie bei der Aktion Himmel).

In der Studie der Universität Cambridge, die Dank des AK Zensur zu einiger Bekanntheit gelangt ist, gibt es eine Fußnote:

"18 In this paper we have not considered whether ‘take-down’ of child sexual abuse images is the optimal strategy. It could be argued that the correct approach is to locate the people behind the websites (...). The attention that has recently been paid to site lifetimes in the IWF annual reports indicates that removal is now seen by them to be important. However (Callanan 2007) found that only 11% of all websites are reported to ISPs by member hotlines. They wish 'not to interfere with any ongoing law enforcement investigation' and say that 'depending on national legislation, the ISP sometimes prefers not to be informed about potentially illegal content.' ”

Wie nun, wenn Server mit kinderpornographischen Inhalten als verdeckte V-Server benutzt würden, um den Verbreitern, aber auch den Konsumenten zielgerichtet und besser auf die Spur kommen zu können?

- Die Polizei hätte dann wohl kein übertriebenes Interesse an den Daten, die auf dem Stopp-Server anfallen - außer um denn Abgleich mit den Logfiles des Server vorzunehmen, der die kinderpornographischen Inhalte vorhält.

- Die Sperrliste würde eigentlich nur als "Spamliste" dienen, um diejenigen aus der Strafverfolgung herauszuhalten, gegen die ohnehin nicht erfolgreich ermittelt werden kann.

- Das Umgehen der Sperren wird dann selbst als Indiz dafür genommen, dass derjenige, der trotzdem auf den Logfiles des Servers mit den kinderpornographischen Inhalten landet, vorsätzlich gehandelt, also sich strafbar gemacht hat. Wer würde sonst die Sperren umgehen?

- Der vielfach hervorgehobene "Erfolg" der Sperrlisten bestünde dann schlicht darin, dass ermittlungsökonomisch/polizeitaktisch die Ergebnisse der Beobachtung des Servers mit den kinderpornographischen Inhalten gehaltvoller und verwertbarer werden.

Es bedüfte investigativer Journalisten, um hier den Sachverhalt aufzuklären. Dazu brauchen wir keinen Markus Decker oder Heinrich Wefing oder Christian Denso, die uns jeweils mit großer Attitüde die Internet-Welt aus ihrer Sicht erklären, sondern schlicht jemanden, der sein journalistisches Handwerk macht.

Aber es wäre ein Fall brutalen Zynismus, wenn "Löschen statt Sperren" nur deshalb nicht funktioniert, weil dem rein polizeitaktische Erwägungen entgegenstehen. Dann würde sich die Frage stellen, wer hier weiter "die Vergewaltigung von Kindern zeigen lassen" will. Und es würde sich mit Sicherheit die Frage stellen, ob diese polizeitaktische Vorgehensweise es rechtfertigen würde, eine zentrale Zensurinfrastruktur zu installieren.

Dienstag, 7. Juli 2009

Mehr Schaden als Nutzen

Providerverband eco kritisiert Zugangserschwerungsgesetz

In der aktuellen Ausgabe der Internet World Business (nur Print) kritisiert Oliver Süme, vom eco Verband der deutschen Internetwirtschaft e.V. das Zugangserschwerungsgesetz.

Süme moniert unter anderem, dass der Grundsatz "Löschen statt Sperren" nur unzureichend umgesetzt sei. Das BKA habe dabei "einen weiten Ermessensspielraum".

Mit seiner Stellungnahme weist eco indirekt darauf hin, dass im verabschiedeten Gesetz keine Verpflichtung des BKA zur Löschung von Seiten mit kinderpornographischen Inhalten vorgeschrieben ist. Das Gesetz schreibt also allenfalls vor, wann nicht gesperrt werden darf (aber nicht, dass gelöscht werden muss). Und auch dies steht noch im Ermessen des BKA.

Der Parteivorstand der SPD hatte dagegen noch vor der Verabschiedung des Gesetzes gefordert: "Das BKA muss bei Internet-Seiten mit kinderpornografischen Inhalten verpflichtet werden, zunächst die Dienstanbieter zu kontaktieren, damit die Seiten gelöscht werden. Erst wenn das erfolglos bleibt (...) soll die Seite auf eine Sperrliste gesetzt werden dürfen. Es muss im Grundsatz immer Löschen vor Sperren durchgesetzt werden."

Zudem verweist der Verband der Internetwirtschaft darauf, dass eine Kontrolle des Prinzips Löschen vor Sperren nicht gewährleistet ist. In der Tat beinhaltet das Gesetz dazu keine Regelung. Der einschlägige Passus lautet: "Das Gremium prüft mindestens quartalsweise (...), ob die Einträge die Voraussetzungen des § 1 Abs 1 erfüllen [also Kinderpronografie beinhalten]." Das Gremium prüft also die Einhaltung des Prinzips Löschen vor Sperren gerade nicht und ist dazu auch offenbar nicht befugt.

Der Parteivorstand der SPD hatte dagegen noch vor der Verabschiedung des Gesetzes gefordert: "Es soll ein unabhängiges Gremium (...) eingerichtet werden, das (...) die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips ["Löschen vor Sperren"] jederzeit kontrollieren und korrigieren kann." Auch in diesem Punkt hat sich die SPD also nicht durchgesetzt.

Fazit von Oliver Süme vom eco gegenüber Internetworld Business:

"Übrig geblieben ist ein Wahlkampfmanöver, das allenfalls als Signal dafür taugt, überhaupt irgendetwas im Zusammenhang mit Kinderpornografie zu tun."

Dem wird man wohl nicht widersprechen können. Und weiter:

"In der Webcommunity ist das Vertrauen in eine sachgerechte Internetpolitik der Bundesregierung und des Gesetzgebers (...) beschädigt."

Sonntag, 5. Juli 2009

Zensur des Begriffs

Begriff der Zensur

In der Diskussion um Internetsperren geht es auch und immer wieder um den Begriff der "Zensur". So zum Beispiel Frau von der Leyen im Interview mit der Zeit:

"Aber dass Bilder von vergewaltigten Kindern nicht frei zugänglich sind, das ist keine Zensur."

Und auch Wiefelspütz findet die Verwendung des Begriffes Zensur für die Sperrung von kinderpornographischen Webseiten irgendwie Gaga, Gogo bzw. Tralafitti oder so:

Zu behaupten, es handele sich beim Sperren strafbarer Inhalte um Zensur, sei „unterirdisch dumm“, sagte Wiefelspütz.

Und auch Frau Dr. Krogmann äußert sich entsprechend:

"Entsprechend ist die Sperrung einer derartigen Seite als die Verhinderung einer Straftat zu qualifizieren. UND EBEN NATÜRLICH NICHT ALS ZENSUR!!!!"

Was steckt hinter dieser Auseinandersetzung um den Begriff der Zensur.

1. Die Befürworter von Netzsperren erkennen natürlich die negative Bewertung eines Zensurvorwurfs und möchten den Begriff der Zensur deshalb selbst inhaltlich einschränken. Zensur soll wohl nur die politisch (willkürliche) Einschränkung von unerwünschten Meinungen sein (siehe Definition der Bundeszentrale für Politische Bildung).

Diese einschränkende Definition von Zensur ist unzureichend, weil sie einerseits Tatsachen nicht berücksichtigt. Und sie hilft auch dort nicht weiter, wo eben nicht politisch willkürlich zensiert wird, sondern auf Grund von Straftatbeständen. Wie würden wir denn eine Sperrung von volksverhetzenden, rechtsextremen Internetseiten nennen - etwa keine Zensur, da strafbar?

2. Im Übrigen versuchen die Sperrbefürworter indem sie den Zensurvorwurf ablehnen und schlicht auf die Strafbarkeit von kinderpornographischen Inhalten verweisen, die Begründungs- und Rechtfertigungslasten zu verschieben. Versteht man "Zensur" als staatliche Kontrolle der Verbreitung von Inhalten, würde sich die Frage nach deren Rechtfertigung zwangsläufig stellen. Wer argumentiert, es handele sich nicht um Zensur, da es um strafbare Inhalte gehe, versucht die Argumentations- und Begründungslast den Gegnern in die Schuhe zu schieben. In etwa so, wie wenn man behaupten würde, eine Haftstrafe sei keine Freiheitsbeschränkung, weil sich der Täter strafbar gemacht habe. Es stellt sich dann gar nicht erst die Frage, ob eine Maßnahme geignet, erforderlich und angemessen ist.

3. Allerdings steckt in der Diskussion um den Begriff der Zensur ein Sachkern, über den man sich bewußt sein sollte. Art. 5 Abs. 1 GG, also das einschränkungslose Zensurverbot, gilt nur für die sogenannte "Vorzensur". Gemeint ist damit nur die vorherige Überprüfung und Genehmigung von Veröffentlichungen durch eine "Zensurbehörde". Das verbietet das Grundgesetz ausnahmslos. Die "Nachzensur" also das repressive Vorgehen gegen bereits veröffentlichte Inhalte ist (in den Schranken des Grundgesetzes) möglich.

4. Warum argumentieren nun die Sperrbefürworter nicht mit der Differenzierung von Vor- und Nachzensur. Nun hier kann man nur spekulieren. Wahrscheinlich ist in der emotionalen Debatte, die medial von Frau von der Leyen betrieben wird, kein Platz für differenzierte Argumentation. Außerdem würde eine Differenzierung nach Vor- und Nachzensur nicht wirklich helfen. Der fehlende Mechanismus einer Kontrolle der Webseiten nachdem sie erstmal auf die Sperrliste gelangt sind (was passiert bei Wechsel des Domaininhabers und der Inhalte) und die Problematik des sogenannten Over-Blockings wirken sich eben faktisch auch als Vorzensur aus.

5. Wie also sollte unsere Argumentation sein:

- Zensur ist schlicht das Verfahren einer staatlichen Kontrolle der Verbreitung von Inhalten - unabhängig davon, welche Inhalte konkret betroffen sind!

- Die Netzsperren sind als Zensurmaßnahme ungeignet, letztlich nicht erforderlich und auch unangemessen.

Und falls wir gefragt werden, ob man "Löschen statt Sperren" nicht auch als Zensur verstehen kann, wäre meine Antwort: Ja, aber eben eine Zensurmaßnahme die

- geignet und erforderlich ist, weil die Inhalte tatsächlich vom Netz verschwinden und

- angemessen ist, weil nur der Täter, also der Verbreiter kinderpornographische Inhalte, von dieser Maßnahme betroffen ist, aber eben nicht zu Lasten aller Internetnutzer eine Zensurinfrastruktur installiert und der gesamte Internetverkehr "gefiltert" wird (Telekommunikationsgeheimnis, Art. 10 GG).

Sonntag, 28. Juni 2009

Grenzen der Verständigung

Warum die Auseinandersetzung um Internetsperren und Zensur erbittert geführt wird

 

Thomas Knüwer hat bereits vor der Verabschiedung des Gesetzentwurfes zur "Bekämpfung der Kinderpornographie" in Kommunikationsnetzen (jetzt "Zugangserschwerungsgesetz" - ZugErschwG) von einer "Schlammschlacht" gesprochen.

Früh schon hatte Familienministerin Ursula von der Leyen, inzwischen besser bekannt als "Zensursula", Kritikern vorgeworfen, sie wollten "weiterhin uneingeschränkt die Vergewaltigung von Kindern zeigen". Der zuständige Bundesminister Guttenberg sekundierte dann bezogen auf die Unterzeichner der E-Petition: "Es macht mich schon sehr betroffen, wenn pauschal der Eindruck entstehen sollte, dass es Menschen gibt, die sich gegen die Sperrung von kinderpornographischen Inhalten sträuben." Bedeutet wohl: die Unterzeichner wehren sich pauschal dagegen, dass sie keine Kinderpornographie mehr konsumieren sollen. Nur zur Erinnerung sei angemerkt, dass Frau von und zu Guttenberg Präsidentin eben jenes adligen Wohltätigkeitsvereines ist, dessen mangelnde Medienkompetenz mitursächlich für des Gesetzesvorhaben von Frau von der Leyen sein dürfte.

Das Ausmass der Verbalinjurien hat zwischenzeitlich eher zu- als abgenommen. Wenn sich die Debatte durch etwas auszeichnet, dann ganz besonders durch den schlechten Stil, in dem sie geführt wird: Da werden "Franziska Heine und ihresgleichen" als eine Schar kriminell-pädophiler Geschäftemacher, bestenfalls jedoch Anarchisten oder Kommunisten bezeichnet. Und sogar die sonst eher betuliche ZEIT gefällt sich darin, durch einen Heinrich Wefing eine Salve an Beleidigungen abzufeuern: alles Ideologen und Web-Anarchos.

Der Konflikt wirft, gerade weil er so erbittert geführt wird, die Frage auf, ob es jenseits der Sachebene strukturelle Gründe gibt, die es erschweren, im Rahmen des normalen politischen Prozesses den Konflikt zu befrieden und zu einer Verständigung zu gelangen.

1.     Betroffenheit

In der vom Familienministerium mit Steuergeldern finanzierten Meinungsumfrage des Allensbach Institutes spricht sich eine große Mehrheit der Bevölkerung von 91% für Netzsperren im Kampf gegen Kinderpornographie aus. Laut den letzten Veröffentlichungen des Statistischen Bundesamtes verfügen aber nur 69% der Bevölkerung über einen privaten Internetzugang (nur 50% der Bevölkerung hat einen Breitband-Internetzugang). Was selbst aus der Allensbach Umfrage, mit all ihren absichtlichen oder unabsichtlichen Schwächen, deutlich wird: die Zustimmung zu Netzsperren im Kampf gegen Kinderpornographie steigt in dem Maße, als der Interviewte selbst von der gesetzlichen Regelung nicht betroffen ist, weil er das Internet kaum oder wenig nutzt. Ein italienischer Politikwissenschaftler soll in den 60er Jahren ironisch die Frage aufgeworfen haben, weshalb an einer Abstimmung über die Beendigung des amerikanischen Krieges in Vietnam nicht eigentlich auch der Vietcong beteiligt würde. Hier haben wir die umgekehrte Situation, denn natürlich sind für die politische Entscheidungsfindung auch diejenigen (Wähler-) Stimmen relevant, die von der gesetzlichen Regelung überhaupt nicht betroffen sind.

2.     Intensität von Präferenzen

Die Germanen pflegten die Beschlussfassung der Stammesversammlung nicht durch förmliche Abstimmung und Auszählung der Stimmen durchzuführen, sondern durch Kundgabe der Zustimmung oder Ablehnung mit Hand und Mund. Das Schlagen mit der Waffe auf den Schild oder Beifallsrufe bedeuteten Zustimmung, lautes Murren Ablehnung. Was uns heute als Verfahren der Entscheidungsfindung befremdlich vorkommen mag, hat auch gewisse Rationalitätsvorsprünge: die Intensität der Präferenzen konnte so (wenigstens sinnlich) erfahrbar gemacht werden. Lautes Klappern mit den Waffen oder ein nur verhaltenes Murren kann die Zustimmung oder Ablehnung nach Intensität gewichten. Diese Intensität der Betroffenheit und der Präferenzen kann zwangsläufig bei einer reinen Abzählung von Stimmen nicht berücksichtigt werden.

Die Befürworter der Netzsperren erfassen durchaus, dass das Thema für die Gegner wiederum von hoher Präferenz ist. Aber sie können dies nur negativ erfahren - so z.B. Wolfgang Bosbach, stv. Fraktionsvorsitzender der CDU: „Das ist eine straff organisierte Community. Die leben in der virtuellen Welt intensiver als in der realen.“ Was allerdings Herr Bosbach oder auch Frau von der Leyen nur als organisierten Widerstand einer Lobby empfinden, ist in Wahrheit primär die Intensität der Ablehnung des Gesetzesvorhabens in Sachen Internetsperren. 

3.     Expertenwissen 

Wie sich illegale Inhalte im Internet zeitnah und effektiv bekämpfen lassen ist ganz augenscheinlich Expertenwissen. Das BKA ist bei der Bekämpfung von kinderpornographischen Inhalten im Internet selbst Teil des Problems und scheinbar auch nicht willens zu einer Lösung beizutragen. Gegner des Gesetzesvorhabens analysieren Sperrlisten, lokalisieren Server und lassen die Server abschalten. Was die Bundesregierung bei der Bekämpfung von Kinderpornographie an eigenen Erkenntnissen beisteuern kann, läßt sich recht simpel zusammenfassen: die Bundesregierung hat keine eigenen Erkenntnisse. Es gibt in dieser Frage eine erhebliche Kluft zwischen dem machtlosen Wissen einer relativ kleinen Zahl von Spezialisten auf der einen Seite und dem allmächtigen Unwissen (der Mehrheit der Nichtfachleute) auf der anderen Seite - nicht die besten Voraussetzungen für eine Entscheidung nach Mehrheitsregel.

4.     Öffentlichkeit

Der englische König hat 1642 in einer Erwiderung im Konflikt mit dem englischen Parlament gewarnt: Wenn das Parlament weiterhin seine eigenen Interessen gegen den König durchsetzen wolle, werde es nicht lange dauern, bis das Volk "dieses aracanum imperii entdecke, dass alles durch sie, aber nicht für sie getan wurde. (...) Sie werden selbst die Intiative ergreifen, Gleichheit und Unabhängigkeit als Freiheit verstehen" und so letztlich "alle Rechte und Besitztümer, alle Unterschiede von Familie und Verdienst" verschlingen. Geheime Kabinettspolitik ist das Kennzeichen absolutistischer Herrschaft, Demokratie dagegen ist durch Öffentlichkeit geprägt - jedenfalls dem normativen Ideal nach.

Öffentlichkeit bedeutet: Entscheidung des Parlaments nach und in einer öffentlich geführten Debatte und öffentliche Kontrolle des Handelns der Exekutive. An dieser Stelle soll zunächst nur der Prozess der Entscheidungsfindung nachvollzogen werden. Frau von der Leyen hat im Hinterzimmer der Politik und unter kaum verhohlenem Druck einer ansonsten drohenden Negativ-Kampagne gegen die Zugangsprovider (MdB Jörg Tauss: "Nötigung" [Update: @tauss nochmals zur Klarstellung: Vodafone/Arcor habens schon im Januar OFFENSIV vorangetrieben und mussten v. #Zensursula NICHT genoetigt werden.]) Verträge durchgesetzt, die die von ihr gewünschten Internetsperren zum Inhalt haben. Diese Verträge wiederum wurden von der SPD als Rechtfertigung dafür benutzt, warum jetzt eine eine gesetzliche Grundlage notwendig sei. In den Hinterzimmern der SPD wiederum dürfte eine nicht unentscheidende Rolle gespielt haben, ob denn nicht auch eine Negativ-Kampagne in Sachen "Kinderpornographie" gegen die SPD denkbar wäre: "In Parteikreisen kann man hören, was für ein 'Bockmist' der Entschluss sei. Aber von der Leyen sei sich nunmal nicht zu schade, der 'Kinderporno-Sau' eine SPD-Fahne anzuhängen, bevor sie diese durchs Dorf treibe." Als Schweinetreiber würde hier - wie immer - die BILD dienen. Art und Weise des Zustandekommens des Gesetzes ist jedenfalls das gerade Gegenteil eines an sachlicher Richtigkeit orientierten öffentlichen Diskurses.

Die Art und Weise des Zustandekommens des Gesetzes ist zugleich auch ein schlechtes Omen für das Leyensche Feigenblatt: Wie sollte wohl eine effektive Kontrolle der geheimen BKA-Sperrliste durch ein vierteljährlich tagendes Expertengremium denkbar sein, wenn sich jeder Experte in diesem Gremium der Gefahr ausgesetzt sehen muss, den Schweinen zum Fraß vorgeworfen zu werden.

Fazit:

Neben einem Generationkonflikt - zwischen Digitale Natives und Offlinern - gibt es in der Auseinandersetzung um Internetsperren und Zensur strukturelle Gründe, die zwangsläufig (?) zu der Verhärtung geführt haben: ein relativ geringer Anteil der interessierten Öffentlichkeit beteiligt sich mit hoher Intensität der Präferenz an einer Debatte, die zu führen relatives Expertenwissen voraussetzt. Genau jenes Wissen, das in der Politik nicht beheimatet ist. Die entscheidenden Debatten werden dann auch nicht öffentlich geführt sondern durch taktische Erwägungen in den Hinterzimmern der Politik bestimmt. All dies sind in der Meteorologie der Politik die besten Voraussetzungen für ein politisches Unwetter, wenn nicht sogar einen Sturm. Wenn diese Analyse stimmt, ist ein Teil des Schadens bereits angerichtet (Ursula von der Leyen wird z.B. in ihrem politischen Leben wohl immer "Zensursula" bleiben). Zur Lösung dieses Konflikts könnte die Gesellschaft dann länger brauchen, als die voraussichtliche Gültigkeitsdauer des Gesetzes. Das Zugangserschwerungsgesetz soll erst einmal nur 3 Jahre gelten - bevor es dann gegen Ende der nächsten Legislaturperiode erneut dem demokratischen Willensbildungsprozess im Parlament sich wird stellen müssen.   

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