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Montag, 3. August 2009

Real Life im Netz

Wo ist der netzpolitisch interessierte Wähler zu finden?

Ursula von der Leyen benutzt letzthin gerne ihr 40 Millionen Argument: "Wir haben 40 Millionen Internetnutzer in Deutschland. Die zeitlich befristete Petition gegen den Vorschlag ist von rund 134.000 Nutzern unterzeichnet worden. Diese Relation muss man sehen." Nun ist Frau von der Leyen mehr als hinreichend demagogisch begabt, um selbst zu wissen, dass sich nicht 39,87 Millionen Internet-Nutzer bewußt gegen die Netzsperren-Petition entschieden haben. Wer nichts von der Petition gewußt hat, wird sich keine Meinung gebildet haben und kann infolge dessen auch nicht von Frau von der Leyen als Unterstützer ihrer Position vereinnahmt werden.

Im Netz gibt es aber dennoch den Drang nach draußen "auf die Straße" oder doch zumindest rein in die "klassischen Medien". Der netzpolitisch interessierte Aktivist oder Wahlkämpfer ist auf der Suche nach den verlorenen Unterstützern. Die Ahnung ist vorhanden - es müßten eigentlich mehr sein. Gleichzeitig entspricht es wohl der eigenen Erfahrung, wie wenig auch netzinteressierte und -affine Nutzer "da draußen" und im "Real Life" zum Beispiel etwas von #zensursula mitbekommen haben.

Wer sich über die geschätzte Zahl der deutschen Twitter-Nutzer informiert hat (wohl zwischen 60.000 bis ca. 85.000 Nutzer in D, zwischenzeitlicher Zuwachs nicht berücksichtigt), ahnte bereits wo das Problem liegen könnte. Die dankenswerter Weise bei netzpolitik.org verlinkten Online-Studien von ARD/ZDF befördern hier Erhellendes zu Tage.

Zunächst einmal: der Anteil der kompletten Offliner 2009 liegt bei immerhin noch 32,9%, also 21,34 Millionen Erwachsene (ab 14 Jahre). Rechnet man die potentiellen CDU-Wähler und etatistisch gesonnenen SPD-Wähler als unerreichbar ein, dürfte jede Offline-Kampagne für netzpolitische Themen mit immensen Streuverlusten behaftet sein. Für netzpolitische Themen ist der geeignete Mobilisierungsort - wen wundert es - das Netz selbst.

Sind hier bereits alle Mittel ausgeschöpft? Sind 134.000 Unterzeichner oder 229.000 Wähler der Piraten das Maß aller Dinge?

Nun, wer sich die Nutzung von Web 2.0 Angeboten anschaut stellt vielleicht Überraschendes fest. Laut der Online Studie von ARD/ZDF nutzen Onliner nie, das heisst auch nicht gelegentlich, folgende Dienste:

private Netzwerke / Communities zu 71%
Fotosammlungen / Communities zu 75 %
Weblogs zu 92 %
berufliche Netzwerke / Communities zu 94 %
Lesezeichensammlungen zu 96 %

Wohlgemerkt: die Prozentangaben beziehen sich auf die Nichtnutzung!

Im Klartext bedeuten diese Zahlen zum Beispiel, dass alle Mechanismen der Mobilisierung in der Kampagne gegen #zensursula ungefähr 9 von 10 Internetnutzern überhaupt nicht erreicht haben, weil diese nicht twittern, keine Blogs lesen und auch in einer privaten Community sich womöglich nicht mit politischen Themen beschäftigen wollen.

Die vielleicht etwas erschütternde Wahrheit ist also: 82% der Internet-Nutzer lesen ihre E-Mails und schauen sich Webseiten an (keine Blogs). That's it. Die Blase, in der wir leben, ist nicht das Internet, sondern der Web 2.0 Teil davon (was immer "Web 2.0" konkret bedeuten mag). Und dieser Teil der Internet-Nutzung macht weniger als 10% aus (gerechnet auf die Internet-Nutzer in Deutschland).

Was bedeutet das nun für den Online-Wahlkampf oder die Kampagne gegen Internetsperren und Zensur?

Die positive Nachricht für CDU und SPD zuerst. Der Kampf um die Multiplikatoren im Netz ist verloren, der Internetwahlkampf insofern beendet, bevor er richtig begonnen hat. Wahlgetwitter und die VZ Wahlkampfzentrale zeigen es überdeutlich. Aber, und das ist die gute Nachricht, die wenigsten Internetnutzer haben das bereits mitbekommen.

Was bedeutet das nun aber für einen netzpolitischen Wahlkampf oder Kampagnen von Netzaktivisten? Die gute Nachricht ist hier die gleiche: wohl ca. 90% der Internet-Nutzer dürften hier noch gar nichts mitbekommen haben. Die schlechte Nachricht folgt auf dem Fuße. Diese Internetnutzer sind wahrscheinlich nur über ganz ordinäre Web 1.0 Techniken erreichbar. Also Mailings, Newsletter, SEO kompatible Webseiten und Suchmaschinenmarketing.

Das Real Life ist bereits im Netz, der Straßenwahlkampf wartet.

Sonntag, 26. Juli 2009

Die unerträgliche Seichtigkeit der grünen Kinderschutz-Laien

Eine Erwiderung

Mit einem Kommentar bei welt.de hat sich M. Güldner an die Spitze der grünen Kinderschutz-Laien katapultiert und sich gleichzeitig als Kandidaten für den "Rechtsfreien Raum der Woche" empfohlen. Eine kurze Erwiderung:

"Die ignorante Argumentation gegen Internetsperren kommt von Menschen, die es sich in virtuellen Räumen bequem gemacht haben und übersieht die Opfer in der realen Welt."

Die Debatte um Netzsperren, muss an diesen Grünen komplett vorbeigegangen sein. Mag sein, dass Güldner mehr Zeit vor dem Fernseher, als im Internet verbringt - und deswegen nicht mitbekommen hat, worüber hier diskutiert wurde. Aber selbst mit etwas aufmerksamer Lektüre der TAZ hätte man mitbekommen können, dass es um "Löschen statt Sperren" geht, also genau darum, wie sich kinderpornographische Inhalte effektiv bekämpfen lassen. Es war nicht zuletzt die sich in einem virtuellen Stopp-Schild manifestierende Untätigkeit bei der Bekämpfung von Kinderpornographie, die auch Missbrauchsopfer in Opposition zu dem Gesetzesvorhaben getrieben haben.

Der Vorwurf der Ignoranz geht in doppelter Hinsicht mit Güldner heim: Er ignoriert das Anliegen und die Argumente der Sperrgegner. Und er ignoriert die Missbrauchsopfer, wenn er einer reinen Symbolpolitik und einem virtuellen Vorhang das Wort redet.

"Ihre Anhänger kämpfen mit hoch effektiven Mitteln für die Rechtsfreiheit ihres Raumes."
Hier vermag man eigentlich kein Argument mehr zu identifizieren. Es geht - so scheint es - nur noch um die Verunglimpfung der Sperrgegner mit hohlen Sprüchen. Merke: die Phrase darf kein geistreicher Raum sein. Also zum Mitmeißeln für unsere Kinderschutz-Laien bei den Grünen: Wir sind nicht für die Verbreitung von Kinderpornographie!

"Da ist zum Beispiel das Argument, die Sperren könnten umgangen werden. Da haben sich einige wohl das Hirn herausgetwittert. Genauso gut könnte die Tatsache, dass Morde begangen werden, obwohl sie verboten sind, als Argument gegen den Mordparagraphen im Strafgesetzbuch angeführt werden."
Offenbar herrschen hier unterschiedliche Vorstellungen davon, wozu ein Gesetz und insbesondere das Zugangserschwerungsgesetz dienen soll. Für Güldner scheint es darum zu gehen, ein gesellschaftliches Signal zur Ächtung von Kinderpornographie zu setzen. Motto: Es ist unerheblich, was die Sperren faktisch bewirken, Hauptsache die lauteren Absichten werden in Gesetzesform verkündet. Für Güldner würde offenbar ein Gesetz mit folgendem Inhalt ausreichen:

§ 1 Ächtung von Kinderpornographie

(1) Kinderpornographie wird gesellschaftlich geächtet.
(2) Dieses Gesetz ist als starkes Signal zu verstehen.

§ 2 Inkraftreten

Das Gesetz tritt am Tage nach seiner Verkündung in Kraft.

Dass derlei Unfug nicht nur nichts nützt, sondern auch gefährlich ist, sollte einleuchten. Gesetze, die praktisch nichts bewirken und im Falle des Zugangserschwerungsgesetzes noch schädliche Folgen haben, delegitimieren Rechtsnormen genauso wie den Gesetzgeber.

"In Skandinavien wurden schon positive Erfahrungen mit vergleichbaren Gesetzen gemacht."
Nachdem Güldner sein Hirn sich nicht herausgetwittert haben wird, ist man geneigt zu fragen: Wo anderweitig hat er es gelassen? Wovon spricht Güldner hier bloß? Zu den "positiven" Erfahrungen in Skandinavien gibt es eindeutige Aussagen:

"'Unsere Sperrmaßnahmen tragen leider nicht dazu bei, die Produktion von Webpornografie zu vermindern', bilanzierte der Chef der Polizeiermittlungsgruppe gegen Kinderpornografie und Kindesmisshandlung in Stockholm, Björn Sellström. Zudem könnten Nutzer die Stopp-Seiten problemlos umgehen."
Jetzt wieder Güldner:

"Unser Umfeld kommt zu einem nicht unerheblichen Teil aus den erziehenden Berufen, ist selbst Mutter oder Vater. Die Internetsperren haben Umfragen zu Folge bei ihnen eine hohe Popularität."
Das ist letztendlich genau das strukturelle "Kinderporno-Sau-durchs-Dorf-treiben"-Argument, das schon die SPD bewogen haben dürfte, den Netzsperren zuzustimmen. Man hatte hoffen dürfen, dass jedenfalls die Wähler der Grünen nicht so dämlich sind, dass sie den Unterschied zwischen "Löschen" und "Sperren/Verstecken" nicht erkennen könnten. Immerhin 92% der Bevölkerung sind dazu durchaus in der Lage.

"Der politische Makel, mehr auf den Trend gesetzt zu haben als auf die Bekämpfung realer Menschenrechtsverletzungen, würde dagegen lange haften bleiben."
Wenn sich noch mehr Kinderschutz-Laien bei den Grünen in ähnlicher Weise zu Wort melden, dann ist ziemlich sicher, dass (i) der politische Makel auf den Trend einer teils sinnlosen teils gefährlichen Symbolpolitik gesetzt zu haben und (ii) gleichzeitig nichts für die Bekämpfung realer Menschenrechtsverletzungen zu tun, den Grünen anhaften würde.

Insofern ist bereits jetzt eine politische Merkbefreiung an Güldner auszustellen.

[Update:
Dank eines Artikels bei Brainweich: Güldner war Mitarbeiter bei Save the Children. Der Verein betreibt offenbar Kinderschutz als Geschäftsmodell. Ähnlich wie Julia von Weiler und Stefanie Freifrau zu Guttenberg mit Ihrem Verein Adlige für Kinder aka Incompetence not in danger Kinderschutz als Party-Veranstaltung für Promis und Adlige betreiben.]

Freitag, 24. Juli 2009

Sperren statt Löschen um V-Server im Ausland zu schützen

Wie geht man eigentlich mit dem Ausland um?

Es wurde hier bereits vermutet, dass aus polizeitaktischen Erwägungen Server mit kinderpornographischen Inhalten nicht sofort abgeschaltet werden, um verdeckt weitere Ermittlungen durchführen zu können. Dazu gibt es jetzt von unerwarteter Seite eine Bestätigung.

Martin Dörmann, Verhandlungsführer der SPD beim Zugangserschwerungsgesetz, hatte zu einer Veranstaltung eingeladen. Der Audio-Mitschnitt der Veranstaltung ist über netzpolitik.org verfügbar. Es wurde ein Teil transkribiert (es geht um Server mit kinderpornographischen Inhalten im Ausland und um "Löschen statt Sperren"):

"Wie geht man eigentlich mit dem Ausland um? Also sagt man da, da muss in jedem Falle gelöscht werden, egal wie lange das dauert? Da besteht zwischen dem AK Zensur und dem BKA ein großer Meinungsunterschied. Ich habe mich ja auch, wie gesagt, mit Herrn Freude vom AK Zensur, der da an der Spitze der Bewegung steht, mich mal in dieser Frage unterhalten. Der sagt: 'Wir haben den Test gemacht haben: Wenn wir dem Provider einen Hinweis gegeben haben, dann wurden die Inhalte relativ schnell runtergenommen. Wenn dies das BKA machen würde, würde das auch passieren.' Jetzt muss man aber zwei Dinge beim BKA berücksichtigen im Ausland:

Das BKA ist eine Behörde. Die kann natürlich im Ausland nicht so agieren wie in Deutschland. Da ist die große Streitfrage, was ist da bereits 'hoheitliches Handeln', was gegebenfalls der Bundesrepublik zuzurechnen ist - mit allen Folgen: also sowohl politischen Folgen, als auch vielleicht sogar rechtlichen Folgen."


Hier ein kurzer Einschub: Wenn das BKA Abuse-Mails auschließlich zu einwandfrei kinderpornographischen Inhalten verschickt: welche rechtlichen Konsequenzen sollte das haben? Und die "große Streitfrage", ob das BKA Abuse-Mails verschicken darf, ist in Wahrheit keine - mindestens keine große. Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat ein solches Vorgehen nicht als "hoheitliches Handeln" und damit als zulässig qualifiziert.

Warum sollte also Löschen im Ausland ein Problem sein. Jetzt Teil 2 der Erläuterungen von Martin Dörmann:

"Der zweite Gesichtspunkt ist das Problem, dass es im Einzelfall auch so sein kann, dass man vielleicht recherchiert im Ausland, genau an dieser Stelle. Und dass man sogar polizeiliche Ermittlungen im Ausland stören kann, wenn man den Hinweis gibt: 'Es ist bekannt, dass Du da so eine Seite hast. Wir tun da was dagegen.'

Das sind Fragen, da muss man einfach auch sehen, dass die vom BKA so angeführt werden."


Also hoppla: Die kinderpornographischen Inhalte sind bereits im Ausland von der Polizei entdeckt worden, aber die Server werden nicht abgeschaltet, sondern als verdeckt operierender V-Server durch die Polizei im Ausland in Dienst genommen. Um weitere Ermittlungen durchführen zu können...

Da stellt sich doch die Frage, wer hier weiterhin uneingeschränkt die Vergewaltigung von Kindern zeigen lässt?

Und als wäre dies nicht schon bedenklich genug (man möchte eigentlich gar nichts mehr über Polizeitaktik wissen): Genau diese polizeilichen V-Server mit Kinderpornographie sind der Grund, weshalb das BKA, laut Martin Dörmann, Sperren in Deutschland für notwendig hält. Nämlich: um die Ermittlungen im Ausland nicht durch Abuse-Mails vom BKA zu stören.

Also entweder ist das BKA technisch unheimlich naiv oder die Politik hat sich vom BKA einen mächtigen Bären aufbinden lassen. Denn natürlich können "Sperren" einen Täter im Ausland ebenfalls warnen bzw. sie sind dazu sogar hervorragend geeignet.

Politisch aber bedeutet dies: wir bekommen Netzsperren in Deutschland um polizeiliche V-Server mit Kinderpornographie im Ausland zu schützen.

[Update: "V-Server" wird hier analog zu "V-Mann" benutzt. Das hat natürlich nichts mit virtuellen Servern zu tun...]

Donnerstag, 23. Juli 2009

Totalüberwachung und Kontaktsperren

Die neuen Benimmregeln von Zensursula

Über die neuen "Benimmregeln" von Frau von der Leyen gibt es bereits eine Debatte.

Man sollte (aus Erfahrung) nicht unterschätzen, zu welchen politischen Amokläufen Frau von der Leyen fähig ist.

Die erstmal nur nach Knigge klingenden harmlosen "Benimmregeln" werden sich als Überwachung von Chats und virtuelle Kontaktverbote zwischen Volljährigen und Jugendlichen herausstellen. Das Stichwort hierzu lautet "Grooming".

Wenn Ursula von der Leyen ausnahmsweise mal Kreide gefressen hat, sollte man sich davon nicht irritieren lassen. Ein Blick auf den "Rahmenbeschluss des Rates zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern sowie der Kinderpornografie" lehrt: hier rollt auf alle Chat-Betreiber und sozialen Netzwerke eine Welle von Überwachungs-, Kontroll- und Verbotsmassnahmen zu, die diese im Auftrag des "Kinderschutzes" werden erfüllen müssen.

Mit historischer Schieflage und nur allegorisch: Vorbild ist nicht Freiher von Knigge sondern der paternalistische Metternich.

Dienstag, 21. Juli 2009

Grenzenloses nationales Recht

Was passiert, wenn "Löschen statt Sperren" keine Lösung ist?

Dass eine auf die Spitze getriebene juristische Regelungsdichte und Rechtsdurchsetzung im Ergebnis materielle Gerechtigkeit nicht nur nicht fördert, sondern sogar bedrohen und äußerstenfalls zuwider laufen kann, gehört zum Traditionsbestand der Selbstreflektion der Gesellschaft. Unter dem lateinischen Sprichwort "Summum ius summa iniuria" ist die Problematik seit der Antike bekannt.

In Shakespeares "Der Kaufmann von Venedig" besteht allein aus Rachegelüsten der Kaufmann Shylock auf seinen Anspruch gegen den Schuldner Antonio. Der Richter entgegnet ihm:

"Denn, weil Du dringst auf Recht, so sei gewiß,
Recht soll dir werden, mehr als du begehrst."

Darauf wendet der Richter letztendlich eine rabulistische Interpretation der Vereinbarung zwischen dem Kaufmann und seinem Schuldner an, die aber im Ergebnis der materiellen Gerechtigkeit dient.

Das Rechtssystem kennt nun vielerlei Rechtsinsitute, um den Zielkonflikt zwischen unbedingter Rechtsdurchsetzung einerseits und materieller Gerechtigkeit andererseits in den Grenzen des Rechts selbst abzuarbeiten. Ein Beispiel hierfür mögen Verjährungsfristen sein. Der Gläubiger hat seinen Anspruch lange Zeit nicht verfolgt, also kann der Schuldner sich nach Ablauf der Verjährungsfristen im Interesse des Rechtsfriedens auf Verjährung berufen.

Ein anderes, ebenso intuitiv verständliches Prinzip ist das Territorialitätsprinzip. § 3 StGB bestimmt schlicht:

"Das deutsche Strafrecht gilt für Taten, die im Inland begangen werden."
Wer zum Beispiel als Deutscher in den USA eine englischsprachige Webseite betreibt und dort den Holocaust leugnet, macht sich - auch als Deutscher - nicht nach dem hiesigen Strafrecht (§ 130 StGB) strafbar. Man kann es auch deutlicher formulieren: das Leugnen des Holocaust im Ausland und für ausländische Nutzer ist nach deutschem Recht legal - schlicht deshalb, weil deutsches Recht auf diese Sachverhalte nicht anwendbar ist.

Das hat nun seinen guten Sinn - denn schließlich möchte man sich als Betreiber einer inländischen Webseite auch nicht unbedingt nach iranischem, afghanischem oder chinesischem Strafrecht strafbar machen - auch wenn selbstverständlich die Inhalte (vorbehaltlich entsprechender Zensureingriffe) in diesen Ländern abgerufen werden können.

In diesen Konstellationen kommt es zu der Situation, dass die Devise der Sperrgegner "Löschen statt Sperren" nicht funktionieren kann. Die Inhalte sind im Ausland ja nicht strafbar und können ohne freiwillige Mitwirkung der Host-Provider nicht gelöscht werden.

Wir reden hier wohlgemerkt nicht von kinderpornographischen Inhalten im Web. Diese sind - soweit ersichtlich - global geächtet. Und natürlich wußte auch Frau von der Leyen bisher kein Land zu nennen, in dem Kinderpornographie tatsächlich nicht strafbar ist. Mit Rücksicht auf mögliche weitere diplomatische Verwicklungen ist zu hoffen, dass sie vom Länderraten im Sinne einer Quizshow zukünftig Abstand nimmt.

Was also passiert in den Fällen, in denen die Inhalte im Ausland nicht strafbar sind?

An dieser Stelle ein kleiner Einschub: es ist in Deutschland ebenfalls nicht strafbar, volksverhetzende Internet-Seiten, in denen etwa der Holocaust geleugnet wird, aufzurufen. Der Nutzer in Deutschland macht sich also im Normalfall ebenfalls nicht strafbar.

Wer hier in dieser Situation die Ausweitung der beschlossenen Netzsperren auf andere Sachverhalte, wie etwa sogenannte Hass-Seiten fordert, der muss sich über Folgendes im Klaren sein:

Die Vorteile eines globalen Kommunikationsnetzes müssten aufgegeben werden zugunsten eines renationalisierten "Deutschnetz".

Und außerdem: das nationale Rechtssystem wird überdehnt in der Anwendung auf Auslandssachverhalte, die in begründeter Selbstbeschränkung der Beurteilung des nationalen Rechts entzogen sind.

Wenn also "Löschen statt Sperren" nicht funktioniert, wäre es aus vielerlei Gründen - und dazu gehören eben auch rechtliche Gründe - vernünftig, dies hinzunehmen. Die Frage wird nur sein, ob der Politik eine solch weise Selbstbeschränkung zuzutrauen ist.

Donnerstag, 16. Juli 2009

Wefing und die Zensur

Sind Netzsperren Zensur?

Thomas Stadler wirft in seinem Blog die Frage auf, ob Netzsperren Zensur sind. Er reagiert damit auf einen entsprechenden Kommentar des notorischen Wefing (den ich hier aus Gründen der Netz-Hygiene nicht verlinke). Meiner Meinung nach packt Thomas Stadler das Problem nicht ganz richtig an, aber für einen Kommentar war mir die Sache jetzt doch zu komplex. Deshalb hier in Ergänzung eines früheren Beitrages ein Blogeintrag dazu:

1. Schäuble und von der Leyen wehren sich nicht gegen den juristischen Begriff der Zensur sondern gegen den politischen Begriff der Zensur. Das Problem ist ja, dass alles was der demokratischen Öffentlichkeit als Information entzogen wird, in einer Demokratie die autonome Entscheidung des Wahlvolkes zu delegitimieren droht. Die bürgerlich-liberale Forderung nach grundsätzlich unbeschränkter Öffentlichkeit richtet sich gegen die feudale Arkanpolitik. Instituionalisierte Zensur bedroht also im Grunde das Fundament der demokratischen Willensbildung und stellt die gesamte "Volkssouveränität" in Frage.

Deshalb ist "Zensur" dem Grundsatz nach illiberal und sogar anti-bürgerlich. Der "Zensur"-Vorwurf ist genau deshalb so gefährlich - sogar für die CDU. Und in dieser politischen Hinsicht ist der "Zensur"-Vorwurf auch eindeutig gerechtfertigt.

2. Was den juristischen Begriff der Zensur angeht ist richtigerweise von Thomas Stadler klargestellt worden, dass Art. 5 Abs. 1 Satz 3 "Eine Zensur findet nicht statt." sich nur auf die Vorzensur bezieht. Untersagt ist also nur, dass Inhalte vor Veröffentlichung einer Behörde vorgelegt werden müssen, die dann die Inhalte genehmigt oder eben als rechtswidrig nicht genehmigt. Eine Vorzensur wird durch das Gesetz von #zensursula nur in Aunahmefällen installiert (die Inhalte einer Website werden geändert und/oder der Domaininhaber wechselt). Den Vorwurf einer grundrechtswidrigen "Vorzensur" wird man also kaum erheben können.

3. Wenn es einen juristischen Begriff der "Vorzensur" gibt, dann gibt es logischerweise auch einen juristischen Begriff der "Nachzensur". Und um eine "Nachzensur" im juristischen Sinne des Wortes handelt es sich bei dem Zugangserschwerungsgesetz natürlich! Und auch eine "Nachzensur" muss verfassungsgemäß sein. Genau das steht aber hier mehr als in Frage.

4. Schlussfolgerung im jetzigen Stadium: Als politischer Vorwurf einer (nicht gerechtfertigten) "Zensur" läßt sich an dem Begriff festhalten. Und juristisch betrachtet dürfte es sich bei dem aktuellen Gesetz von von der Leyen um eine verfassungswidrige Nachzensur handeln. Ergänzendes zum Begriff der Zensur findet sich im Beitrag "Zensur des Begriffs - Begriff der Zensur".

Dienstag, 14. Juli 2009

Alte Eliten versus neue Medien

Verteilungskampf 2.0

Ursula von der Leyen und Journalisten wie Heinrich Wefing oder Markus Decker haben etwas gemein. Nein, es ist nicht allein die skurrile Auffassung, dass ein virtuelles Stopp-Schild im Internet eine höchst wirkungsvolle Maßnahme bei der Verbrechensbekämpfung sei - es geht um mehr. Sie sind Teil jener alten Eliten aus Politik und Meinungsmachern, die in den seeligen Zeiten, als alles noch aus Holz war, bestimmten, was die Menschen zu denken hatten.

Damals - es ist noch nicht allzu lange her - konnte der denkende Mensch nur sein Zeitungsabonnement kündigen, wenn er sich allzu dummdreiste Hofberichterstattung nicht mehr gefallen lassen wollte. Seelige Zeiten für jene Politiker und Journalisten, die in friedlicher Koexistenz und trotz gelegentlicher Dispute wußten, dass sie in einer Art struktureller Koalition für die Distribution von Herrschaftswissen an die Bürger zu sorgen hatten - möglichst in homöopathischen Dosen. Und dabei auch genau wußten, dass sie sich um den zur Passivität verdammten Leser nicht wesentlich würden bekümmern müssen.

Das sogenannte Web 2.0 ändert einiges in dieser so eingeübten Rollenverteilung. Wer heute gut informiert sein möchte, braucht als Rezipient keine Zeitung mehr. Warum sollte man sich den Briefkasten mit bedrucktem Papier vollstopfen lassen? Auf wenigstens einem Drittel einer Zeitung finden sich komplett uninteressante Inhalte (nicht jeder interessiert sich für den Sportteil oder "Aus aller Welt"). Ein weiteres Drittel ist nicht ausreichend recherchiert oder einseitig berichtet und allenfalls 10% einer normalen Tageszeitung ist überhaupt uneingeschränkt lesenswert. Dafür auch noch Geld zahlen? Und wozu auch - wer auf Schnelligkeit Wert legt und Hintergrund erfahren möchte, ist im Internet ohnehin besser bedient.

Mit User-generated Content in Zeiten des Web 2.0 kommen wesentliche Informationen und Berichte ohnehin nicht mehr aus privilegierten Wissensquellen. Das Beispiel Iran zeigt es, auch und gerade, weil man hier wie dort nicht allem vertrauen darf. Der passive Leser kann, wenn er möchte, die Rolle wechseln und selbst Nachrichten und Informationen produzieren.

Wenn Hubert Burda in seinem Streit für ein urheberrechtliches Verlegerprivileg im Internet "die fundamentale Bedeutung des Qualitätsjournalismus für unsere Demokratie" hervorhebt, so meint er doch - an die Adresse der Politiker gerichtet - nichts anderes, als: wer würde so über euch Politiker berichten wie wir? Dabei ist tatsächlich bereits jetzt den siechen Händen der alten Eliten die 4. Gewalt entglitten und an das Netz übergeben worden.

Nirgends wird dies deutlicher, als in der Auseinandersetzung um Ursula von der Leyens Stopp-Schilder. Der Widerstand formierte sich im Netz, hier wird mobilisiert vor allem aber auch informiert. Und wer sich tagesaktuell über den Stand der Debatte orientieren will findet hinreichende Quellen. Während Frau von der Leyen mit ihrer Indien-Lüge knallhart widerlegt wird, schweigen die klassischen Medien.

Journalisten in den klassischen Medien wundern sich wohl ebenso wie Ursula von der Leyen. Wie konnte es zu diesem breiten Widerstand kommen, obgleich es von "der Presse" keine Unterstützung gab. Und langsam scheint in dieser Auseinandersetzung auch klar: Die klassischen Medien kämpfen ihren eigenen Kampf, ihren "Verteilungskampf 2.0". Wer hat die Deutungshoheit über die Geschehnisse und kann die öffentliche Meinung beeinflussen? Und bei einigen Berichten schimmert die narzistische Kränkung durch. Was unter "Zensur" verstanden wird, findet sich in Blogs aber nicht in Printmedien. Was für eine Demütigung für diejenigen "Qualitätsjournalisten" die glaubten, wir seien auf ihre Welterklärung angewiesen, um zu verstehen, was um uns herum passiert.

Montag, 13. Juli 2009

Was macht die Polizei

V-Server?

Folgende Meldung sollte stutzig machen: Spiegel online meldete am 28.06.2009 "Polizei gelingt Schlag gegen Kinderporno-Netz" und erläutert im Text, "im Mai 2008 sei eine legale Hip-Hop-Internetseite von der Waadtländer Kantonspolizei beobachtet worden, auf der unbekannte Täter in einem Forum illegale Kinderpornofilme derart versteckt hätten, dass die lokalen Betreiber der Seite dies nicht bemerkt hätten."

Nun, wenn die Meldung richtig ist, wurden die Inhalte im Mai 2008 entdeckt und im Juni des Jahres 2009 gibt die Schweizer Polizei bekannt, es seien im Zuge der Ermittlungen, die sich über mehrere Wochen erstreckt hätten, 2299 Computer-Adressen in 78 Ländern ausfindig gemacht worden. Da IP-Adressen häufig schneller gelöscht werden, als der Polizei lieb ist (deswegen: Vorratsdatenspeicherung) wird die Ermittlung der IP-Adressen wohl kaum ein Jahr gedauert haben. Was aber ist während der 13 Monate zwischen der Entdeckung und der Erfolgsmeldung der Schweizer Polizei mit den kinderpornographischen Inhalten geschehen? Wurden die Inhalte sofort nach Bekanntwerden gelöscht?

Bei Heise ist eine Bemerkung zu lesen, die ebenfalls stutzig macht. Eckhard Fischer, Wirtschaftsreferent der SPD-Bundestagsfraktion, äußert sich zur Umgehung der DNS-Sperren durch Nutzer:

"Wer zu solchen Maßnahmen greife, müsse sich aber auch fragen, 'wer ihm Beifall spendet'. Durch das 'massenhafte' Umgehen der geplanten Stopp-Seiten könnten sich Päderasten besser in der Menge verstecken und eine Strafverfolgung vermeiden."

Abgesehen davon, dass man kaum zufällig auf Seiten mit kinderpornographischen Inhalten landet, wie könnten sich hier Pädophile "in der Masse verstecken", wenn die DNS-Sperren umgangen werden. Das geht doch nur dann, wenn genau dadurch die Ermittlungsergebnisse der Zugriffe auf den Logfiles des Servers mit den kinderpornographischen Inhalten so "verwässert" werden, dass die Ergebnisse untauglich sind (wie bei der Aktion Himmel).

In der Studie der Universität Cambridge, die Dank des AK Zensur zu einiger Bekanntheit gelangt ist, gibt es eine Fußnote:

"18 In this paper we have not considered whether ‘take-down’ of child sexual abuse images is the optimal strategy. It could be argued that the correct approach is to locate the people behind the websites (...). The attention that has recently been paid to site lifetimes in the IWF annual reports indicates that removal is now seen by them to be important. However (Callanan 2007) found that only 11% of all websites are reported to ISPs by member hotlines. They wish 'not to interfere with any ongoing law enforcement investigation' and say that 'depending on national legislation, the ISP sometimes prefers not to be informed about potentially illegal content.' ”

Wie nun, wenn Server mit kinderpornographischen Inhalten als verdeckte V-Server benutzt würden, um den Verbreitern, aber auch den Konsumenten zielgerichtet und besser auf die Spur kommen zu können?

- Die Polizei hätte dann wohl kein übertriebenes Interesse an den Daten, die auf dem Stopp-Server anfallen - außer um denn Abgleich mit den Logfiles des Server vorzunehmen, der die kinderpornographischen Inhalte vorhält.

- Die Sperrliste würde eigentlich nur als "Spamliste" dienen, um diejenigen aus der Strafverfolgung herauszuhalten, gegen die ohnehin nicht erfolgreich ermittelt werden kann.

- Das Umgehen der Sperren wird dann selbst als Indiz dafür genommen, dass derjenige, der trotzdem auf den Logfiles des Servers mit den kinderpornographischen Inhalten landet, vorsätzlich gehandelt, also sich strafbar gemacht hat. Wer würde sonst die Sperren umgehen?

- Der vielfach hervorgehobene "Erfolg" der Sperrlisten bestünde dann schlicht darin, dass ermittlungsökonomisch/polizeitaktisch die Ergebnisse der Beobachtung des Servers mit den kinderpornographischen Inhalten gehaltvoller und verwertbarer werden.

Es bedüfte investigativer Journalisten, um hier den Sachverhalt aufzuklären. Dazu brauchen wir keinen Markus Decker oder Heinrich Wefing oder Christian Denso, die uns jeweils mit großer Attitüde die Internet-Welt aus ihrer Sicht erklären, sondern schlicht jemanden, der sein journalistisches Handwerk macht.

Aber es wäre ein Fall brutalen Zynismus, wenn "Löschen statt Sperren" nur deshalb nicht funktioniert, weil dem rein polizeitaktische Erwägungen entgegenstehen. Dann würde sich die Frage stellen, wer hier weiter "die Vergewaltigung von Kindern zeigen lassen" will. Und es würde sich mit Sicherheit die Frage stellen, ob diese polizeitaktische Vorgehensweise es rechtfertigen würde, eine zentrale Zensurinfrastruktur zu installieren.

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